Holmes hat wieder mal keine Zeit. Oder keine Lust, das weiß man bei ihm nie so genau. Daher sollen wir uns um diesen Fall kümmern. Also gut, erst einmal den Stadtplan rausholen. Schließlich müssen wir ja wissen, wo sich der Schauplatz des Verbrechens befindet. Dann noch das Adressbuch. Hier findet man eigentlich alles und jeden. Das sollte sich als nützlich erweisen, wenn wir neue Informationen erhalten. Diesmal sind wir perfekt vorbereitet und wir werden präziser sein, cleverer, schneller und vor allem besser als Holmes…
Das hier ist eigentlich gar kein neues Spiel. Sherlock Holmes: Beratender Detektiv – Die Themse-Morde & andere Fälle von Gary Grady, Suzanne Goldberg und Raymond Edwards wurde bereits 1985 mit dem Titel Spiel des Jahres ausgezeichnet. Das ist lange her und entsprechend schwer war es bis dato, an ein Exemplar zu gelangen. Asmodee hat nun eine Neuauflage des textlastigen Klassikers herausgebracht, was dieses Problem erfreulicherweise beseitigt. Wir haben alle 10 Fälle für euch gelöst und verraten euch, ob wir mit dem größten Detektiv aller Zeiten mithalten konnten.
Viel Spaß beim Lesen!
Ein lange gehegter Wunsch
Es gibt mittlerweile eine Vielzahl an Spielen, bei denen wir als Detektive ermitteln müssen. Nach der Escape-Welle kam nun die Crime-Welle über uns geschwappt und bringt das Thema wieder en vogue. Ich hatte tatsächlich bereits seit Längerem mit Sherlock Holmes: Beratender Detektiv – Die Themse-Morde & andere Fälle geliebäugelt, aber ehrlich gesagt, waren mir die alten Ausgaben auf den einschlägigen Plattformen für gebrauchte Spiele häufig zu teuer. Es sind gut gehütete Schätze, die für einen entsprechenden Sammlerwert über die Verkaufsplattformen gehen. Da kam uns die Neuauflage von Asmodee gerade recht. Oder wohl eher mir, denn Jan war eher so Mitläufer, aber dazu später mehr.
Infos, Infos und noch mehr Infos
In der schönen Schuber-Schachtel sind insgesamt 10 Fälle enthalten, für die jeweils ein eigenes DIN A4 großes Heft beiliegt. Darin findet ihr die Einführung in den Fall, die meist einen kleinen Plausch mit Informanten, Holmes, Watson und Lestrat von Scotland Yard enthält. Diese ist, wie alle Texte in Spiel, sehr atmosphärisch und ansprechend geschrieben. Der Stil passt zur Zeit des viktorianischen London, in der das Spiel angesiedelt ist. In diesem Heft sind auch alle Texte enthalten, die uns erzählen, was uns an den Schauplätzen, die wir im Laufe eines Falles aufsuchen, erwartet. Das Herzstück ist jedoch der in Bezirke eingeteilte Stadtplan von London, auf dem fast jedes Haus theoretisch auch besucht werden kann und mit einer Nummer versehen ist, unter der evtl. ein passender Abschnitt im Heft zu finden ist.
Außerdem gibt es zu jedem Fall ein DIN A3 Blatt, das als Ausgabe von The Times vom aktuellen Tag dient und nützliche Informationen in Form von Artikeln, Anzeigen oder Veranstaltungen enthalten kann. Die Zeitung enthält aber wiederum so viele Informationen, dass es schwer ist, hier relevante Hinweise herauszulesen. Erschwerend kommt hinzu, dass euch bei weiteren Fällen, die alle chronologisch aufeinanderfolgen, auch die vorhergegangenen Ausgaben weiterhin zur Verfügung stehen und daher für spätere Fälle relevante Informationen enthalten können. Die Fälle der Box werden also nicht nur immer schwieriger, es gibt auch immer mehr an Material, das ihr im Blick behalten müsst.
Von Ort zu Ort ermitteln
Das Spiel selbst verläuft jedoch immer in folgender Weise: Ihr entscheidet gemeinsam (oder auch alleine, denn die Anzahl der Spieler ist relativ egal), welchen Ort ihr aufsuchen möchtet und lest den passenden Abschnitt im Heft. Daraus zieht ihr eure Schlüsse und notiert im Idealfall wichtige Informationen. Dann entscheidet ihr euch für den nächsten Ort und das macht ihr so lange, bis ihr denkt, den Fall durchschaut zu haben. Welche Orte relevant sind, müsst ihr aus dem Kontext der gesammelten Informationen entscheiden. Manchmal gilt es, sich auf dem Stadtplan zu orientieren, manchmal müsst ihr das Adressbuch zurate ziehen und manchmal Orte aufsuchen, auf die ihr durch die Zeitung aufmerksam geworden seid. Seid ihr so weit und denkt, dass ihr nun den Fall gut genug durchschaut habt, beantwortet ihr Fragen zum Fall, indem ihr eure Antworten notiert, bevor ihr die Lösung anschaut. Es versteht sich von selbst, dass ihr die Fragen vorher nicht kennt. Als Detektive könnt ihr euch ja denken, dass es hier meist um Täter, Motiv usw. gehen wird. Für korrekt beantwortete Fragen bekommt ihr Punkte gutgeschrieben. Außerdem ist noch die Anzahl aufgesuchter Orte relevant, denn habt ihr mehr Schritte benötigt, als der Meisterdetektiv Sherlock Holmes, bekommt ihr Punkte abgezogen. Das ist sehr wahrscheinlich, denn der Mann ist einfach gut, in dem was er tut. Holmes bekommt in jedem Fall 100 Punkte und euer Ziel ist es, am Ende mehr Punkte als er zu haben.
Wie wir Sherlock Holmes: Beratender Detektiv erlebt haben
Wir haben nun alle 10 Fälle aus der Box gelöst und sind ein wenig zwiegespalten, wie gut das Spiel in die aktuelle Zeit passt. Zum einen ist es nicht mehr wie damals alleine auf dem Markt. Detektiv-Spiele sind ein absoluter Trend der letzten Jahre und das wird auch einer der Gründe gewesen sein, weshalb hier eine deutsche Neuauflage spendiert wurde. Absolut überzeugend sind die Texte in den Szenario-Heften. Die Texte sind sehr stimmungsvoll und abwechslungsreich geschrieben und wir konnten erfreulich wenige Rechtschreibfehler finden. Hier steht Sherlock Holmes: Beratender Detektiv – Die Themse-Morde & andere Fälle im krassen Gegensatz zu Mythos Tales, das im Lovecraft-Universum spielt. In puncto Qualität ist der beratende Detektiv über jeden Zweifel erhaben.
Wir hoffen, ihr lest gerne
Und die Fälle sind durchaus anspruchsvoll. Gerade da uns nicht nur die Informationen zum aktuellen Fall vorliegen, muss man hier hart daran arbeiten, den Überblick zu behalten. Aber versteht mich nicht falsch: Das macht Spaß und weckt in mir Ehrgeiz. Es ist aber ganz klar nicht für jeden was. Jan zum Beispiel war es eindeutig zu viel Text und zu unflexibel. Die Flut an Text hat eben auch seine Nachteile. Wenn ihr mit mehreren SpielerInnen am Tisch sitzt, muss vorgelesen werden. Als Lesender bekommt man meist noch alles mit, als Zuhörer ist das jedoch sehr anstrengend. Klar kann man sich hier abwechseln, bei uns führte das allerdings dazu, dass schlussendlich jeder den Text noch mal für sich gelesen hat, während die anderen schon mit denken beschäftigt waren. Natürlich haben auch aktuellere Spiele dieses Problem, jedoch warten diese meist mit weitaus weniger Text auf. Daher empfehlen wir euch nicht, die angegebene maximale Spielerzahl von acht auszureizen. Es spielt sich ziemlich gut zu zweit und auch für Solo-Spieler ist es hervorragend geeignet.
Un-interaktive Monologe
Ein großer Nachteil des Systems ist es außerdem, dass es zu jedem Ort nur einen Text gibt, egal zu welchem Zeitpunkt im Spiel ihr ihn besucht. Es ist eine Einbahnstraße ohne die Möglichkeit noch mal Rückfragen zu stellen. Die Charaktere, denen ihr begegnet, erzählen euch, das, was sie eben erzählen. Zwar sind die Texte gut geschrieben und man hat sich sichtbar Mühe gegeben, Andeutungen für alle möglichen Dinge einzubauen und den Anschein an Interaktivität zu erzeugen. Manchmal möchte man die Gesprächspartner aber einfach am Kragen packen und schütteln und fragen: Wie heißt denn nun die Person, von der du da gerade erzählst? Aber Pustekuchen. Wir sind da sicherlich verwöhnt. Es gibt ja mittlerweile App-gestützte Spiele, bei denen so was möglich ist. Hier ist Papier nicht nur geduldig, die Papierform verlang von uns SpielerInnen auch Geduld und Duldsamkeit.
Der Wert der Wertung
Nach den ersten Fällen haben wir außerdem aufgehört, uns bei der Schlusswertung mit Sherlock Holmes zu vergleichen. Für uns war die Wertung ab einem gewissen Zeitpunkt schlichtweg egal, da wir lieber den Fall lösen wollten. Neben dem Hauptfall gibt es auch immer noch ein paar Nebenschauplätze, zu denen es am Ende Zusatzfragen gibt. Nicht, dass wir uns dadurch leicht ablenken lassen, aber neugierig waren wir schon und es wäre auch schade um das viele Material gewesen, wenn wir uns, wie gefordert, so kurz wie möglich mit einem Fall beschäftigt hätten.
Der eigentliche Auslöser war jedoch ein Fall, dessen Lösung uns nicht wirklich überzeugt hatte. Da wurden uns Fakten präsentiert, auf die wir nicht gekommen waren. So weit, so gut. Das kann ja mal passieren, dass man etwas übersieht. Es ließ uns jedoch keine Ruhe und daher lasen wir jeden einzelnen Text, um herauszufinden, woher diese Information nun stammte. Und wir fanden sie nicht. Es war aber auch nicht so, dass man mit logischen Schlüssen aus den gesammelten Informationen hätte darauf kommen können. Ab diesem Zeitpunkt wollten wir einfach nur ermitteln, ohne Druck durch die Wertung. Die späteren Fälle sind auch so herausfordernd genug.
Fazit zum Detektiv-Klassiker
Die Stärke von Sherlock Holmes: Beratender Detektiv – Die Themse-Morde & andere Fälle sind eindeutig die stimmungsvollen Texte und die abwechslungsreichen und herausfordernden Fälle. Das System selbst krankt aber auch an den damit verbundenen Schwächen. Die Flut an Text und Informationen muss man mögen, aber wahre Detektive vergraben sich ja sowieso gerne in Stapelweise Papier. Es ist aber auch nicht mehr 1985 und wir wissen auch, dass es mittlerweile andere Möglichkeiten gibt, ein Detektiv-Spiel umzusetzen. Die Form passt aber natürlich hervorragend in die Zeit, in der es spielt und ich bin froh, dass ich so Gelegenheit hatte, diesen Klassiker zu spielen. Wir hatten viel Spaß mit der Box und ich persönlich freue mich auch schon darauf, falls die weiteren Boxen ebenfalls eine deutsche Neuauflage bekommen sollten.
Euer Rating zu Sherlock Holmes: Beratender Detektiv
Sherlock Holmes: Beratender Detektiv – Die Themse-Morde & andere Fälle ist auf Deutsch bei Asmodee erschienen.
Für die Review stand uns ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.