Das Inori-Tal lag noch im Zwielicht, als ich die letzten Stufen zum Großen Baum erklomm. Seine gewaltigen Wurzeln ragten wie uralte Brücken aus dem Boden, während leuchtende Pilze ein geheimnisvolles Licht spendeten. Ich kniete vor dem Altar, beobachtet von den Waldgeistern, die mir wie neugierige Kinder folgten. Ich lege meine Gaben ab und entferne mich, in der Hoffnung, dass sie mir ihre Gunst erweisen werden.
Wolltet ihr nicht schon immer mal mit den Waldgeistern befreundet sein und am Großen Baum Altäre errichten? Nein? Wir auch nicht. Im Inori-Tal tut man spielerisch aber genau das. Ob uns das Worker-Placement-Spiel von Mathieu Aubert und Théo Rivière überzeugen konnte, erfahrt Ihr in unserer Review.
Viel Spaß beim Lesen!
Thematische Magerkur
Prinzipiell kann man Brettspiele ja nach zwei Ansätzen betrachten: Das Thema und die Mechanik. Die thematische Einbettung von Inori hat aber weniger Substanz als ein Getreidefeld nach einer Heuschrecken-Invasion. Es geht irgendwie um Naturgeister, vermutlich, weil die knuffig darstellbar sind und auch sonst niemand großen Anstoß daran nehmen kann. Gott bewahre eine Diskussion über ein irgendwie vorhandenes Thema. Aber vielleicht ist es auch einfach ein abstraktes Spiel und hier ist nicht viel herauszuholen gewesen. Wie auch immer das gewesen sein mag, das Ergebnis ist ein sehr rosa-lastiges Spielbrett mit bunten Karten, deren Illustrationen irgendwie niedlich sind, aber auch keine wirkliche Relevanz für das Spiel besitzen.
So erlanget unsere Gunst, Sterbliche… und setzt Arbeiter ein
Mechanisch handelt es sich um ein Arbeiter-Einsetz-Spiel, in dem ich farbige Marker sammle, um über Mehrheitenwertungen zu punkten. Das klingt ebenfalls bis jetzt nicht nach viel Innovation, hier kann Inori aber noch zwei Kniffe bieten, die das Ganze etwas interessanter machen.
Werten oder nicht werten, das ist hier die Frage
Jede Karte, die auf dem Spielbrett ausliegt, hat mehrere Einsatzfelder, die mich verschiedene Dinge ausführen lassen. Ich kann neue Gunststeine bekommen, manchmal Steine für Punkte werten oder auch mal ein zufälliges Runenplättchen ziehen. Sind am Ende einer Runde alle Felder der Karte besetzt, bekommen alle auf der Karte vertretenen Spieler*innen außerdem Punkte für Gunststeine der passenden Farbe in ihrem Vorrat und es wird für die neue Runde eine Karte derselben Farbe nachgelegt. Sind nicht alle Felder besetzt, gibt es keine Wertung und es wird eine Karte einer anderen Farbe für die nächste Runde nachgelegt. Dieser erste Kniff sorgt dafür, dass wir zusammen während der Partie schon bestimmen, was auf dem Spielbrett ausliegt und womöglich gewertet werden kann. In der Praxis ist aber die Wahrscheinlichkeit groß, dass Karten weiterhin gefüllt werden, wenn diese einmal erfolgreich gepunktet wurden. Und auch mit steigender Spielerzahl ist es einfacher, Karten voll zu bekommen. Um jemanden am Tisch daran zu hindern, eine Karte zu punkten, bedarf es schon entschlossener Zusammenarbeit, und selbst dann ist der Erfolg nicht garantiert.
Darf es noch eine Mehrheitenwertung sein?
Mit jeder neuen Runde kommt eine weitere Karte auf dem Spielbrett dazu, und ich bekomme auch eine weitere Arbeiterfigur, die ich einsetzen kann. So sind die ersten Runden durchaus schneller gespielt als die späteren. Kommen wir aber noch zum versprochenen zweiten Kniff: Auf der linken Seite des Spielplans befinden sich weitere Einsatzfelder. Wer diese als Erster nutzt, muss jedoch zusätzlich ein farbiges Plättchen aussuchen und der Aktion zuordnen. Hierdurch wird festgelegt, für welche Farben es am Ende der Partie wie viele Punkte für die Mehrheit zu verteilen gilt. Das gibt durchaus noch einmal mehr taktische Tiefe. Sammelt mein Gegenüber blaue Steine und ich habe nicht wirklich eine Chance, da dranzukommen? Dann nutze ich vielleicht erst mal eine der unteren Aktionen, wo es weniger Punkte gibt, und ordne dort die Farbe Blau zu. Oder ich selbst habe schon viele gelbe Steine? Dann nutze ich noch eine der oberen Aktionen, um diese auch für die Endwertung attraktiv zu machen. Immer vorausgesetzt natürlich, dass meine Mitspieler*innen die Farbe nicht bereits woanders zugeordnet haben oder die Aktion nicht mit einer anderen Farbe belegt ist.
Das Geheimnis der Runenplättchen
Nun habe ich noch ein paar Worte zu den Runenplättchen zu verlieren. Diese werden verdeckt gezogen, wenn ich sie über ein Einsatzfeld erhalte, und bleiben auch geheim, bis ich sie aufdecke. Leider ist die Ikonografie auf ihnen, anders als bei den Einsatzfeldern auf den Karten, nicht sehr intuitiv. Das ist aber auch nicht wild, denn im Grund gibt es nur drei Arten. Einfach zu verstehen ist es, wenn ich zwei Gunststeine bekomme. Dies sind auch die wertvollsten Runenplättchen, weil es in der Regel nur Vorteile hat, weitere Gunststeine zu erhalten.
Die anderen beiden sind extrem situativ und ich kann sie teilweise nicht sinnvoll einsetzen. Mit einer Aktion ein Runenplättchen zu ziehen, ist also eine risikobehaftete Aktion, denn im schlimmsten Fall habe ich keinen wirklichen Vorteil daraus, wenn ich nicht unbedingt noch mit auf einer bestimmten Karte stehen will. Die anderen beiden Aktionen sind die Fähigkeit, dass ich mich einmalig auf ein bereits von einer anderen Figur besetztes Feld setzen kann. Und die letzte ermöglicht es mir, eine gegnerische Figur von oder auf ein Feld einer bestimmten Farbe zu verschieben. Und spätestens hier kommt es wirklich sehr auf die Spielsituation an, ob ich das überhaupt möchte. Sie können sehr mächtig sein, oft liegen die Plättchen aber auch ungenutzt bis zum Ende herum, insbesondere, wenn es zum Beispiel kein Feld dieser Farbe gibt. Gleichzeitig schweben ungenutzte Runenplättchen wie ein Damoklesschwert über den Zügen eines ansonsten aus offenen Informationen bestehenden Spiels.
Der Schlusspunkt mit den Punkten
Neben den Punkten aus den einzelnen Runden gibt es am Ende dann nur noch die Punkte aus der selbst zusammengebastelten Mehrheiten-Wertung für die Gunststeine und dann war es das auch schon. Ihr habt erfolgreich eine Partie Inori beendet. Wer die meisten Punkte hat, gewinnt natürlich.
Harmonie in Farbe und Form
Jetzt können wir noch ein wenig über Gestaltung und Ausstattung sprechen. Platz haben wir hier ja noch genug, denn mehr gibt es wirklich nicht zu sagen. Wie eingangs bereits erwähnt, nehmen die Illustrationen auf den Karten recht viel Raum ein. Diese sind von Suzanne Demontrond zu Papier gebracht und passend zu den jeweiligen Elementen der Naturgeister gestaltet. Sie sind durchaus hübsch anzusehen und insbesondere gefallen mir die Natur-Naturgeister der grünen Farbe. Insgesamt wirkt die Gestaltung des Covers und des Spielplans angenehm zurückhaltend. Es wird viel mit Pastell und Negativen gearbeitet. Ohne stereotyp klingen zu wollen, macht es schon den Eindruck, eher auf eine weibliche Spieler*innenschaft als Zielgruppe ausgelegt zu sein. Das rosafarbene Spielbrett ist da nur das i-Tüpfelchen auf dem gefälligen und weichgespülten Gesamtkonzept von Inori.
Sehr lobend erwähnen möchte ich aber noch das Schachteldesign und da besonders das Innenleben. Wie auch schon bei Harmonies, hat man sich hier Gedanken gemacht. Ohne Plastik wurde hier ein Fach eingebaut, in dem die Holz-Komponenten und Plättchen sicher verstaut werden können. Für die großformatigen Karten gib es einzelne Fächer, in denen sie sortiert eingeräumt werden. Hier fliegt nichts lose herum und das ist ein fantastischer Ansatz, den sich gerne mehr Verlage zu Herzen nehmen sollten.
Fazit
Wir haben Inori in verschiedensten Gruppen auf den Tisch gebracht, von Wenigspieler*innen bis Vielspieler*innen war alles mit dabei. Das Fazit nach der ersten Partie war aber recht gleichbleibend und wenig enthusiastisch. Ob man danach noch eine Partie spielen möchte? Die Mehrheit hatte sich eher dagegen ausgesprochen, denn man hat nach einem Mal so ziemlich alles gesehen. Es tut zwar nicht weh, bei der großen Auswahl an besseren Spielen auf dem Markt gibt es eben aber auch genügend Alternativen. Sogar solche, die von denselben Autoren stammen. Sea Salt & Paper stammt zum Beispiel mit aus der Feder von Théo Rivière. Und bei Eine Tüte Chips, das von den beiden Autoren stammt, möchte man unbedingt noch eine weitere Partie gleich hinterher spielen. Sie können es also durchaus, mit Spielen zu fesseln.
Ich habe nichts gegen abstrakte Spiele, ganz im Gegensatz zu Jan. Aber diese punkten in der Regel damit, dass ich alles durchrechnen kann. Mit den Runenplättchen ist hier ein Zufallselement in das Spiel herein gezwungen worden, das es eigentlich nicht gebraucht hätte. Die beiden Kniffe mit der selbst zusammengebauten Wertung gefallen mir gut, insgesamt kommen sie aber zu wenig zum Tragen.
Zusammenfassend möchte ich sagen, dass es sich bei Inori zwar um ein solides Brettspiel handelt, mir persönlich genügt das aber einfach nicht. Lobend kann man hier aber die Verarbeitung und auch durchaus die Gestaltung hervorheben. Nächstes Mal dann bitte aber wieder mehr Innovation.
Euer Rating zu Inori

Inori ist auf Deutsch bei Asmodee erschienen.
Für die Review stand uns ein kostenloses Exemplar zur Verfügung.