Stein auf Stein und schon steht das neue Kurhotel. Hier im sonnigen Tal soll es zahlende Gäste anlocken, die sich dann ganz ihrer Erholung widmen können. Doch es gibt ein Problem: Die Übernachtungskosten sind reiner Wucher. Nicht jeder wird sich eine Nacht leisten können. Immerhin sieben Gold muss man für eine Nacht berappen. Gut nur, dass die Bewohner im sonnigen Tal sehr gut von der Landwirtschaft leben können. In den Nachbar-Chartern ist dies leider nicht der Fall. Durch Fehlplanungen haben ihre Produktionsketten nicht die gleiche Effizienz wie unsere. Den König wird es freuen, wenn er demnächst zu Besuch kommt und sich davon überzeugen kann, dass nur einer seiner Diener auf ihn hört und das Dorf zu dem Wohlstand bringt, den er gefordert hat. Willkommen in Charterstone.
Charterstone weiß was du letzte Runde getan hast
Charterstone ist ein Legacy Spiel. Entscheidungen die ihr in einer Spielpartie trefft, werden mit in die nächste Partie übernommen. Wer jetzt an Pandemie Legacy denkt, liegt gar nicht so falsch.
Allerdings ist Charterstone kein Spiel, bei dem ihr gemeinsam versucht die Welt zu retten, sondern diesmal spielt ihr gegeneinander – oder besser gesagt Charter gegen Charter. Zu Beginn der ersten Partie sucht sich jeder Spieler eine Farbe aus und bekommt dann sein eigens Stück Land – Charter genannt – das er gestalten darf.
In diesem Land werdet ihr im Laufe des Spiels eure Gebäude errichten und versuchen, sinnvolle Produktionsketten aufzubauen. Damit ihr auch noch in der nächsten Partie wisst, was ihr gebaut habt, werden die Gebäude permanent auf das Spielbrett geklebt. Dabei ist euer Platz begrenzt und irgendwann müsst ihr euch auch von Gebäuden trennen, die ihr schon in früheren Runden gebaut habt, indem ihr sie überklebt.
Das ist aber noch nicht genug Legacy: Über die Anzahl von genau 12 Partien wird auch noch eine Geschichte erzählt, deren einzelne Kapitel von euch mitgestaltet werden. Der Spieler, der die aktuelle Siegbedingung der Runde erfüllt, kann zwischen zwei Optionen wählen und damit die Weichen für die nächste Partie stellen. Allein dies war schon ein Ansporn für die Spieler unserer Gruppe, den Sieg zu erringen.
Denn nur der Sieger durfte Rubbeln und wenn die Verlage eins gelernt haben bei Legacy Spielen, dann ist es, dass Spieler etwas entdecken wollen. Und da ist Charterstone keine Ausnahme. Nicht nur die Optionen für die nächste Runde wollen von euch entdeckt werden, es gibt auch diverse Boxen zu öffnen. Und neben den physischen Boxen wollen auch noch die mysteriösen Charterkisten in Form von Karten erkundet werden.
Diese Charterkisten stellen euch neue Gebäude oder auch Rollenkarte zur Verfügung. Doch nicht nur der Spieler der die „Kiste“ geöffnet hat, bekommt einen Bonus. In den meisten Fällen erweitern sie auch das Spiel mit neuen Regeln. Dies passiert am häufigsten in den ersten Spielpartien, während zum Ende der gesamten Kampagne viele Charterkisten schon geöffnet sind und deswegen die Ausbeute immer geringer wird.
Geben und nehmen
Jamey Stegmaier, der Entwickler von Scythe, steht hinter Charterstone und wagt sich damit an ein weiteres Worker Placement Spiel. Das Genre revolutioniert er damit jedoch nicht.
Der grundlegene Mechanismus ist eher simpel gehalten: Ihr nehmt einen euer beiden Arbeiter und setzt ihn auf ein Feld. Einige Felder verlangen Ressourcen, die ihr bezahlen müsst, um dann das Feld und dessen Ertrag auch nutzen zu können.
Habt ihr keine Arbeiter zum Einsetzen, müsst ihr einen Zug dazu nutzen, eure Arbeiter zurückzuholen. Stellt sich ein anderer Spieler auf ein Feld, dass ihr schon besetzt habt, bekommt ihr euren Arbeiter als Bonus zurück auf die Hand. Kommt einem bekannt vor und war auch schon bei Euphoria von Jamey Stegmaier so geregelt.
Dieser einfache Mechanismus sorgt dafür, dass ihr euch nicht bereits am Anfang mit schwierigen Regeln rumplagen müsst, sondern sofort losspielen könnt. Und genau das ist ein sehr großer Pluspunkt bei Charterstone: Nach dem sehr schnellen Aufbau für die erste Partie legt ihr sofort los und fangt an zu spielen.
Das Spiel nimmt euch an die Hand und nutzt die erste Partie eigentlich als Tutorial in dem erklärt wird, wie ihr das Spiel spielt. Hier bin ich aber der Meinung, dass das nicht gleich bei allen Eurogamern funktioniert. Auch wir haben zuerst nach jeder Karte erst einmal geschaut ob in den Regeln etwas dazu steht. Doch hier solltet ihr euch entspannen und dem Spiel einfach folgen, es wird alles zur richtigen Zeit erklärt und keiner wird abgehangen.
Die Krux mit dem Legacy
Aber Charterstone hat ein Problem: Es ist ein Legacy Spiel. Dabei geht es nicht um die „alte“ Diskussion, dass ihr das Spiel eigentlich nur einmal spielen könnt. Diese Entscheidung muss jede Gruppe für sich selber treffen. Das eigentliche Problem ist, dass ihr gegeneinander spielt. Und wer kennt das nicht bei einem Worker Placement Spiel: Eine falsche Entscheidung und ihr kommt ins Hintertreffen und könnt den Vorsprung der anderen Spieler nicht mehr einholen.
Wie schlimm muss das erst in einem Spiel sein, in dem ihr eure Produktionsketten mit in die nächste Partie nehmt?
Überraschenderweise schafft es Charterstone, genau das einigermaßen unter Kontrolle zu halten. Denn in jeder Partie gibt es eine andere Siegbedingung und so ist die Produktionskette, die eben noch funktionierte in der darauffolgenden Partie nichts mehr wert. Und der Charter von eurem Mitspieler ist in dieser Partie auf einmal viel besser aufgestellt, als euer eigener. Hier müsst ihr flexibel reagieren können. Leider gelingt das nicht immer. So kommt es eben doch dazu, dass einige Mitspieler ein bisschen abgeschlagen werden und scheinbar kein Land sehen. Frust ist dabei natürlich mit Inbegriffen.
Das passiert vor allem, wenn ein Mitspieler eine Gewinnstrategie hat, die ihm zwar nicht immer den Sieg garantiert, aber genug Siegpunkte schenkt. Denn diese Siegpunkte werden genutzt, um Boni für euren Charakter freizuschalten. Boni die ihr dann am Anfang einer Runde bekommt. Dies ist zum Beispiel eine Ressource eurer Wahl, Geld oder auch eine Karte aus der Kartenauslage. Hier wird es dann doch sehr schnell wieder unfairer, denn Geld und Ressourcen sind in Charterstone extrem begrenzt. Und wenn nun ein Mitspieler schon vom Start her eine Ressource mehr hat, bedeutet das durch den grundlegenden Spiel-Mechanismus, dass dieser Spieler unterm Strich auch einen Zug mehr hat für andere Aktionen, da er sich ja nicht mehr um die fehlende Ressource kümmern muss.
Auf die Plätze fertig los – Der Run auf das Spielende
Wer die Illustrationen von Charterstone das erste Mal sieht, fühlt sich wahrscheinlich gleich an entsprechende Computerspiele erinnert. Allen voran natürlich die bekannte Siedler-Reihe.
Allerdings ist das Spiel nur oberflächlich eine Wirtschaftssimulation mit Knuddelfaktor. Es ist ein Wettrennen um den Sieg. Alles was ihr in Charterstone tun werdet, dient nur einem Zweck: so schnell wie möglich Siegpunkte sammeln bevor das Spiel endet.
So teilen sich die Spieler in zwei Fraktionen: Es gibt diejenigen, die das Spiel noch ein bißchen am Laufen halten wollen, um Punkte zu generieren und dann gibt es die Spieler, die die Runde schnell beenden wollen, weil ihr Vorsprung groß genug ist. Dabei gibt es keine festgelegte Rundenanzahl, wie ihr es vielleicht von diversen Eurogames gewohnt seid. Vielmehr gibt es bei Charterstone nur einen ungefähres Partieende.
Das ist ein Punkt, der im Spiel unheimlich spannend ist. Es gibt eine Fortschrittsleiste, auf der sich ein Marker durch verschiedene Ereignisse vorwärts Richtung Partie-Ende bewegt. Das kann in einigen Partien schneller passieren als euch lieb ist und in anderen Runden scheint sich der Marker gar nicht zu bewegen. Doch ihr als Spieler könnt gerade zum Ende hin den Marker bewusst beschleunigen, denn jeder Spieler hat genau 12 Einflussmarker die er im Laufe des Spieles einsetzt. Habt ihr keine Marker mehr, bewegt sich der Fortschrittsmarker dadurch ungehemmt weiter dem Ende entgegen.
Charterstone ist ein Spiel für Entdecker
Charterstone ist kein Spiel für storyhungrige Spieler. Im Vergleich mit einem Pandemie Legacy Season 1 gibt es eine eher seichte Story. Die können aber auch jüngere Spieler verstehen, was bei Pandemie eher nicht so der Fall ist. Doch die Story ist nicht die große Stärke von Charterstone. Es geht eher um das Entdecken und Aufbauen und steht damit im krassen Gegensatz zu Pandemie, bei dem es eigentlich nur um den Weltuntergang geht.
Bei Charterstone bauen wir eine Siedlung auf, wir öffnen unbekannte virtuellen Kisten und freuen uns so im Laufe des Spiels über neue Karten und neue Regeln. Dazu kommen noch die Boxen, die wir ja auch noch unbedingt öffnen wollen.
Die knuffigen Gebäude lassen unseren Spielplan mit jeder Partie lebendiger werden. Sie machen den Plan farbenfroher und unterhaltsamer, als es ein Pandemie schaffen kann. Dabei ist Charterstone nicht das bessere Legacy Spiel. Es ist eben ein anderes Legacy Spiel. Wer ständig ums Überleben kämpfen möchte, der greift vielleicht eher zu Pandemie, wer aufbauen möchte und entwickeln möchte, der ist beim Spiel von Jamey Stegmaier vielleicht besser aufgehoben.
Auf lange Sicht – Spieleranzahl und Wiederspielbarkeit
Jedes Charterstone-Brett auf der Welt wird nach der letzten Partie anders sein, dieses Versprechen hat der Entwickler gegeben. Allerdings ist das nur Augenwischerei, denn habt ihr das Spiel einmal durch, ist der Entdeckerdrang vorbei und es ist unterm Strich nur noch ein Worker-Placement-Spiel. Und das mit einer anderen Gruppe zu spielen, macht nur Sinn, wenn diese auch Charterstone gespielt haben.
Denn das gewachsene Spiel Fremden zu erklären, stelle ich mir eher beschwerlich vor. Da hilft es auch nicht, dass das Spiel mit sehr schön gestaltenden Komponenten daherkommt. Holzgeformte Kürbisse und Metallmünzen, die ihr auch noch in anderen Spielen nutzen könnt, zeigen, dass auch das Auge mitspielt.
Ihr solltet euch auch schon im Vorfeld genau überlegen, mit wie vielen Spielern ihr spielen wollt. Charterstone könnt ihr sowohl alleine, aber auch mit bis zu fünf weiteren Spielern spielen. Wobei hier gilt: Mehr ist besser! Ihr solltet nicht unter vier Spielern am Tisch sein. Zwar könnt ihr fehlende Spieler durch eine KI ersetzen, aber eine KI kann eben nicht die menschlichen Stärken und Schwächen abbilden, sondern ist immer nur Mittel zum Zweck.
Wenn ihr ganz großen Gefallen an Charterstone gefunden habt, dann könnt ihr das Legacy-Spiel sogar nochmal spielen. So kommt das Brettspiel gleich mit einem zweiseitigen Spielplan daher. Die verbrauchten Karten lassen sich durch ein Recharge Pack ersetzen. Ihr könnt euch dann mit einer neuen Gruppe oder auch der gleichen noch einmal in die Abenteuerreise stürzen.
Charterstone kaufen?!
Was bleibt nach 12 Partien Charterstone? Ein Karton mit Spielmaterial und ein einzigartiger Spielplan. Ach ja, und was unsere Gruppe betrifft auch 12 Partien voller Spielspaß. Charterstone hat uns nicht enttäuscht. Klar, die Story hätte besser sein können und das Ende hat der gute Jamey einfach vermurkst, aber die wahren Geschichten standen nicht auf irgendwelchen Karten, sondern diese sind während das Spieles entstanden.
Jeder von uns wird sich an Partie neun erinnern und dass man manchmal doch mit dem nackten Finger auf Leute zeigt. Wir werden uns auch daran erinnern, dass einer unser Mitspieler nach 12 Partien immer noch die falschen Steine auf der Siegpunktleiste bewegt hat. Und wir werden uns an die wilden —zensiert— Kämpfe erinnern die in der —zensiert— stattfanden. Aber wir werden Charterstone auch nicht noch einmal mit dem entwickelten Spielplan spielen. Wir werden aber abwarten bis unsere Tochter noch einen Tick älter ist. Dann werden wir das Recharge Pack öffnen können, um mit ihr nach Grüntal zu reisen, um dort ein neues Dorf zu gründen.
Euer Rating zu Charterstone
Charterstone hatte sein Debüt auf der SPIEL 17. Es ist auf Deutsch beim Feuerland Spiele Verlag erschienen. Wer die englische Version möchte, der muss sich an Stonemaier Games wenden.
Wir haben vor kurzem auch mit dem Spiel angefangen und die erste Runde absolviert. Hat sehr viel Spaß gemacht und freuen uns bereits auf die nächste Runde.