Es ist so weit, ich werde es tun. Das Buch mit dem Ritual, das Lizzy wieder aufwecken soll, liegt vor mir. Mich fröstelt, obwohl es hier nicht wirklich kalt ist. Das eigenartige Gefühl der Leere im Keller geht über die reine Abwesenheit anderer Menschen hinaus. Lizzy war oft hier und hat gespielt. ich konnte ihre Faszination für Rätsel nie so verstehen, wie es ihre Mutter tat. Ich straffe die Schultern,schüttle die schmerzhaften Erinnerungen ab und sammle all meinen Mut. Entschlossen schlage ich den Buchdeckel auf, es wird Zeit für The Awakening.
Von diversen Exit- und Escape-Spielen sind wir es ja gewohnt, uns als Spieler in teilweise skurrilen Situationen wiederzufinden. Das ist bei Escape Tales: The Awakening von Jakub Caban, Matt Dembek und Bartosz Idzikowski nicht anders. Wir haben uns durchgerätselt und für euch ein Review des bei Board & Dice erschienenen Spiels zusammengetippt. Dabei verzichten wir auf Spoiler. Ihr werdet nichts von der Geschichte lesen, was ihr nicht bereits auf der Schachtel, beim Regelstudium oder dem Aufbau erfahren werdet. Apropos Geschichte: Bereits auf der Spielschachtel werdet ihr darauf hingewiesen, dass es sich um ein Story Driven Escape Game handelt. Wie packend wir persönlich das von der Geschichte getriebene Escape Spiel fanden, könnt ihr hier lesen.
Verzweifelte Vaterliebe
Ihr schlüpft in die Rolle von Samuel, dessen Tochter Lizzy aus unerklärlichen Gründen ins Koma gefallen ist. Im Krankenhaus hat man keine Erklärung für dich und die Hoffnung, dass sie jemals wieder aufwachen wird, schwindet mit jedem Tag. Also hast du dich selbst auf die Suche nach einer Lösung gemacht. Du bist durch deine Recherchen auf einen Mann gestoßen, der mit seinem Sohn genau das Gleiche durchgemacht hat. Du hast ihn aufgesucht und er hat dir ein Buch mit einem seltsamen Ritual gegeben. Als Warnung hat er dir noch mitgegeben, dass es dich etwas kosten wird und du vorsichtig sein sollst. Also hockst du nun in deinem Keller und willst deiner Tochter zu liebe das Ritual durchführen, schließlich hast du sonst niemanden mehr auf der Welt.
Anleitung für Rituale – So spielt ihr The Awakening
Das ist die Situation in der ihr euch als Spieler nun befindet. Der Keller und auch alle anderen Räume, die ihr später noch besuchen werdet, wird im Spiel durch zwei Karten dargestellt, die zusammen in 12 Bereiche unterteilt sind. Wollt ihr euch mit einem Bereich des Kellers näher beschäftigen (z.B. D2), so führt euch das zu einem bestimmten Abschnitt im Story-Book. Hier wartet zunächst ein kurzer Textabschnitt, der euch tiefer eintauchen lässt. Außerdem könnt ihr Gegenstandskarten erhalten, die meistens Teile von Rätseln sind.
Die Rätsel selbst werden über eine App geprüft. Ihr wählt das Rätsel dort entsprechend des zugehörigen Symbols aus. Hier erfahrt ihr auch, wie viele Karten ihr zur Lösung benötigt und könnt so einschätzen, ob ihr hier noch nach weiteren Teilen suchen müsst oder bereit seid, es zu lösen. Für die genauere Betrachtung werden pro Bereich im Raum Tokens benötigt. Zu Beginn bekommt ihr sechs davon. Ihr könnt euch damit also nicht alle 12 Bereiche im Raum ansehen. Gehen euch die Tokens aus, könnt ihr eine Doom-Karte ziehen, um mehr zu bekommen. Wie die verheißungsvolle Kartenbezeichnung bereits erahnen lässt, wird euch das etwas kosten. Dabei bleiben die Folgen zunächst harmlos, später werdet ihr härtere Opfer bringen müssen, um an zusätzliche Action-Tokens zu gelangen.
Solltet ihr mal total auf dem Schlauch stehen, könnt ihr euch in der App auch Tipps abholen. Ansonsten ist das Handy oder Tablet oder was auch immer ihr nutzt, angenehm unaufdringlich am Spieltisch. Die App braucht auch keine ständige Internetverbindung. Der Hauptteil der Spielerfahrung findet am Spieltisch mit den Karten und dem Storybook statt. Ihr rätselt euch von Raum zu Raum und gefühlt wird es stets schlimmer. Die Grundstimmung ist düster und ihr werdet immer tiefer in die Abgründe des Rituals gezogen.
Ein Labyrinth aus düsteren Pfaden
Der okkulte Aspekt hat uns dabei nicht so viel ausgemacht, aber das Thema des im Koma liegenden Kindes geht einem als Elternteil schon an die Nieren. Damit muss man erst einmal umgehen können. Insbesondere, da uns im Interview mit dem Verlag Board & Dice, bei dem das Spiel auf Englisch erschienen ist, gesagt wurde, dass es nur wenige Enden gibt, die positiv sind. Die Mehrheit der erreichbaren sieben Enden sind negativ und nicht das, was man sich als Spieler wünschen würde.
Lass es uns nochmal tun
Die Tatsache, dass es so viele mögliche Enden gibt, wirft natürlich die Frage der Wiederspielbarkeit auf. Wir hatten das Glück, direkt bei unserem ersten Durchlauf eines der positiven Enden erreicht zu haben. Wobei es auch hier einen negativen Beigeschmack hatte. So richtig Happy war es dann auch nicht. Dafür ist die Grundstimmung von The Awakening wohl auch zu düster. Unser Drang, die anderen möglichen Enden zu erkunden, ist dadurch allerdings nicht sehr hoch. Vermutlich ist das anders, wenn man ein wirklich desaströses Ende für die Geschichte bekommen hat. Dann setzt bestimmt der „Das können wir besser“-Effekt ein.
Ein zweiter oder sogar dritter Durchlauf ist jedoch ohne Probleme möglich. Beim ersten mal sieht man nicht mal ansatzweise alle Rätsel, die im Spiel vorhanden sind. In der App habt ihr zudem einen guten Überblick, welche Rätsel ihr bereits gelöst habt und damit wisst ihr auch, welche ihr verpasst hat. Aus jedem der Räume gibt es außerdem verschiedene Ausgänge. Ihr müsst zwischendurch Entscheidungen treffen, die den Fortgang der Geschichte maßgeblich beeinflussen. All das macht Escape Tales: The Awakening zu einem wirklich guten und empfehlenswerten Spiel, das den Spielern ein Erlebnis bietet.
Eins, zwei oder vier?
Der Fokus auf die Geschichte ist dabei gut umgesetzt. Der Kloß im Hals wird eigentlich ständig dicker und wenn man denkt, es könne nicht schlimmer kommen, setzt es noch einen oben drauf. Wir haben uns zu zweit zusammengesetzt, um Lizzy aufzuwecken. Von unserer Erfahrung her, würden wir das als Besetzung durchaus empfehlen. Alleine kommt man oft einfach nicht auf die zündende Idee, mehr Spieler umgehen dieses Problem. Auf der Schachtel ist eine Maximalbesetzung von vier Spielern angegeben. Das ist in der richtigen Gruppe bestimmt noch ganz gut machbar. Theoretisch kann man es auch mit noch mehr Leuten spielen, allerdings ist das vermutlich weder der Stimmung zuträglich noch kann dann jeder das Spielmaterial gut sehen und mit rätseln.
Ein Licht in der Dunkelheit?
Ein paar kleine Schwächen gibt es dann aber doch und die wollen wir nicht unerwähnt lassen. Das betrifft zum einen das Storybook. Eigentlich ist das ja etwas Gutes, denn es ermöglicht eine kohärente Erzählung. Wir möchten jetzt nicht darauf herumreiten, dass es sich literarisch um keine Meisterleistung handelt. Das halten wir tatsächlich für nebensächlich, trägt die Geschichte doch das Spiel hervorragend. Allerdings müsst ihr bei der Suche nach dem richtigen Abschnitt große Sorgfalt walten lassen. Vertut ihr euch auch nur leicht und landet im falschen Abschnitt, bekommt ihr Informationen, die noch nicht für euch gedacht sind und merkt es unter Umständen erst viel später. Allerdings wollen wir das dem Spiel nicht zu sehr zur Last legen, denn eigentlich war es ja unsere eigene Schusseligkeit. Eine Warnung ist jedoch angebracht.
Abwechslung im Escape-Dschungel
Insgesamt hatten wir ein paar tolle und intensive Abende mit den ersten Escape Tales und freuen uns bereits auf mehr Teile der Reihe. Wir erleben gerne Geschichten und treffen Entscheidungen und auch bei anderen Escape-Spielen würden wir uns da mehr in diese Richtung wünschen. In diesem Jahr soll The Awakening auf Deutsch beim Kosmos Verlag erscheinen. Mit dem anderen Schwerpunkt ist das eine tolle Ergänzung zu der Exit-Reihe im Verlagsprogramm. Wer also Freude an düsteren Geschichten und Escape-Spielen hat, aber auf eine deutschsprachige Ausgabe angewiesen ist, der kann bald bei Kosmos bedenkenlos zugreifen.
Euer Rating zu Escape Tales: The Awakening
Escape Tales: The Awakening ist bei Board & Dice erschienen.
Für die Review von Escape Tales: The Awakening wurde uns ein Rezensionsexemplar von Board & Dice zur Verfügung gestellt.