Fast schon panisch blicken sich die anderen Zauberer in dem düsteren Raum der Bibliothek Obscurio um. Das Grimoire, das sie entwendet haben, zeigt ihnen Bilder, die ihnen helfen sollen, den richtigen Ausgang zu finden. Sie sind sich nicht einig, wohin sie gehen sollen. Zwei der Türen passen fast perfekt zu dem, was uns das Buch gezeigt hat. Natürlich weiß ich, dass die eine Tür definitiv die falsche ist, denn ich habe das Bild darauf selbst ausgewählt, um die anderen zu verwirren. Sie haben noch keine Ahnung, dass ich schon lange nicht mehr auf ihrer Seite bin. Sie würden mich sicher einen Verräter nennen.
Assoziations-Spiele mit schön illustrierten Karten gibt es mittlerweile einige auf dem Markt. Begonnen bei Dixit über Mysterium bis hin zu Shadows Amsterdam, gibt es hier durchaus eine gute Auswahl an qualitativ hochwertigen Brettspielen. Obscurio vom Designer-Team L’Atelier möchte aber noch einmal frischen Wind in das Genre bringen und wartet mit einem Verräter-Mechanismus auf. Wie uns die Flucht aus der düsteren Bibliothek gefallen hat, erfahrt ihr in unserem Review.
Ein Blick in die verbotene Bibliothek
Als Magier-Schüler kommt man auf die dümmsten Ideen. Eine der schlechteren war es wohl, in die magische Bibliothek einzubrechen. Der Hüter der Bibliothek ist nicht gerade für seine freundliche und entgegenkommende Art bekannt. Jetzt habt ihr den Salat und wisst nicht mehr, wo es denn hier nun zum Ausgang geht. In jedem Raum führt euch nur eine Tür näher an diesen heran, leider wisst ihr nicht, welche das ist. Zum Glück habt ihr ein Grimoire (ein Fachwort für ein Buch mit magischem Wissen darin) aus der Bibliothek mitgenommen, das euch liebend gern bei der Flucht behilflich ist, denn auch ihm ist diese Bibliothek viel zu düster. Vermutlich braucht es mal frische Luft.
Spiel mit verteilten Rollen
Da ein Buch nicht sprechen kann, versucht das Grimoire euch mit Bildern dabei zu helfen, die richtige Tür zu finden. In Obscurio muss sich einer eurer Mitspieler bereit erklären, diese Rolle zu übernehmen. Doch der böse Hüter der Bibliothek möchte euch nicht gehen lassen und hat es sogar geschafft, einen von euch unter seine magische Gedankenkontrolle zu bringen. So wird zu Beginn jeder Partie auch noch heimlich ein Verräter unter den Zauberern bestimmt, der nun möglichst unauffällig gegen die anderen Mitspieler arbeitet.
Während einer Runde zieht der Grimoire-Spieler eine der wunderschön gestalteten, runden Karten. Das ist die Ziel-Karte, die es zu finden gilt. Anschließend zieht er noch zwei weitere Karten und legt diese auf die beiden Seiten des Grimoire-Tableaus. Mit zwei Markern kann er nun Details auf den Karten oder aber auch eine ganze Karte kennzeichnen, von denen er denkt, dass die Spieler so auf die nur dem Grimoire bekannte Ziel-Karte kommen müssten. Anschließend schließen alle Spieler ihre Augen und der Verräter wählt nun aus Karten, die das Grimoire ihm zeigt, einige aus, die auf jeden Fall ebenfalls für die Türen zur Wahl stehen werden. Das muss möglichst heimlich und mit Zeichensprache geschehen, damit niemand Verdacht schöpft, wer denn der Verräter ist. Danach dürfen alle wieder ihre Augen öffnen. Die Ziel-Karte und die vom Verräter ausgewählten Karten werden mit Karten vom Stapel aufgefüllt, gemischt und zufällig auf die 6 Ausgangstüren des Spielbretts verteilt.
Ene, mene, muh und welche Tür nimmst du?
Nun können die Spieler diskutieren, welche der Tür-Illustrationen wohl die richtige ist, auf die das Grimoire hinweisen wollte. Natürlich diskutiert auch der Verräter mit und versucht die übrigen Spieler möglichst subtil zu einer falschen Tür zu leiten. Währenddessen läuft eine Sanduhr gegen euch. Je länger ihr braucht, um euch zu entscheiden, desto mehr Fallen-Plättchen werden in der nächsten Runde gezogen, die es euch noch schwerer machen, die richtige Ausgangs-Karte zu finden.
Für jeden, der sich für eine falsche Tür entschieden hat, verliert ihr ein Zusammenhalts-Plättchen. Da ihr nicht ewig Zeit habt, um aus der Bibliothek zu entkommen, habt ihr je nach Spielerzahl und Schwierigkeitsgrad nur eine gewisse Anzahl an Zusammenhalts-Plättchen zur Verfügung. Sind diese aufgebraucht bevor ihr den letzten Raum verlassen konntet, hat der Verräter gewonnen und ihr müsst für immer in der finsteren Bibliothek bleiben.
Der Schwierigkeitsgrad bei Obscurio ist schon recht knackig. Es ist gar nicht mal so leicht, als Grimoire passende Dinge zu markieren. Da ihr die beiden gezogenen Karten, die als Referenz dienen und auf denen markiert werden kann, zufällig zieht, ist es auch Zufall, was darauf zu sehen ist. Das kann super passen, es kann aber auch zur Verzweiflung beim Grimoire-Spieler führen, wenn sich so gar keine Ähnlichkeit entdecken lässt. Nun, man muss auch nichts markieren und manchmal sagt keine Markierung genauso viel aus, wie ein wohl platzierter Marker.
Zurücklehnen, die Fallen machen das schon
Der Verräter hat nun natürlich die Gelegenheit, den ersten Überlegungen der Mitspieler zu lauschen und anschließend in der Phase, in der die Zauberer ihre Augen geschlossen haben, genau solche Karten mit in die spätere Auswahl zu holen, die zu diesen Überlegungen passen. In der anschließenden Diskussionsphase muss er unter Umständen nicht mal viel machen, denn auch die zufällig aufgefüllten Karten vom Stapel passen manchmal besonders gut zu den Markierungen des Grimoires. Und je länger die Diskussion dauert, desto mehr Fallen-Plättchen machen dem Verräter das Leben noch einfacher.
Die Fallen-Plättchen machen ganz lustige Dinge. So müsst ihr zum Beispiel die Grimoire-Seiten mit den Hinweisen mit einer halb durchsichtigen bedruckten Folie überdecken, was das Markieren noch schwieriger macht. Oder ihr müsst eine rote Folie darüber legen, was das Markieren von Farben unmöglich macht. Oder aber es kommt eine siebte Türkarte hinzu. Oder, was mit Abstand am schlimmsten für die Zauberer ist: Ihr deckt die Türkarten eine nach der anderen auf und müsst euch sofort entscheiden, ob ihr diesen Ausgang wählt, bevor die nächste aufgedeckt wird. Gerade wenn mehr als eine dieser Fallen ins Spiel kommt, können hardcore Kombinationen entstehen, bei denen sich der Verräter nur zurücklehnen muss.
Die Suche nach dem Verräter
Sollte es nicht gut für die Zauberer-Spieler laufen und ihr verliert einen Großteil an Zusammenhalts-Plättchen, dämmert euch wohl, dass es einen Verräter unter euch gibt. Habt ihr dieses Limit erreicht, findet eine Abstimmungsphase statt, in der ihr zunächst diskutiert und anschließend per Fingerzeig jemanden beschuldigt. Auf wen die Mehrheit der Finger zeigt, der muss seine Rollenkarte aufdecken und so offenbaren, ob er oder sie der gesuchte Verräter ist. Solltet ihr hier falsch liegen, verliert ihr wieder Zusammenhalts-Plättchen. Das setzt sich fort, bis der tatsächliche Verräter gefunden ist. Der darf für den Rest der Partie nicht mehr aktiv nach dem Ausgang suchen, sondern nur noch Verwirrung stiften, in dem er weiterhin zusätzliche Karten für die Türkarten jedes Raumes aussucht.
An diesem Punkt dauert die Partie allerdings in der Regel nicht mehr sehr lange. Entweder ihr wart als Zauberer dem finalen Ausgang aus dem letzten Raum bereits sehr nahe und schafft es zu entkommen, was einen Sieg für alle Zauberer und das Grimoire bedeutet, oder ihr scheitert und verliert auch eurer letztes Zusammenhalts-Plättchen, wodurch der Verräter gewinnt.
Liebe auf den zweiten Blick
Manchmal warten Brettspiele nur auf die richtige Gelegenheit, um endlich glänzen zu können. So ähnlich war es bei uns auch mit Obscurio. Da ich ein Fan von Mysterium bin, hatte ich das Spiel schnell in mein Herz geschlossen. Jan jedoch mag solche Spiele eigentlich gar nicht. Daher brauchte es eine Weile, bis wir Obscurio spielen konnten. Trotzdem hat es das Spiel geschafft, auch Jan von sich zu überzeugen. Zumindest hat es sich einen Platz vor Mysterium erobert und das liegt vor allem am Verräter-Mechanismus.
Der bringt nochmal neuen Wind und Spannung in das bereits ein wenig eingefahrene Genre. Dieser ist das Herz des Spiels und mit ihm steht und fällt die gesamte Partie. Allerdings gibt es da auch ein großes Aber: Der Verräter wird manchmal nicht wirklich gebraucht, um Verwirrung unter den Zauberern zu stiften. Die zufällig kombinierten Karten machen es dem Grimoire durchaus schwer, etwas Vernünftiges zu markieren. Wo bei Mysterium und Shadows Amsterdam die Tipp-gebenden Spieler aus einer Auswahl an Karten versuchen, die am besten passende Karte zu nutzen, regiert bei Obscurio der Zufall. Die Fallen, von denen auch immer mindestens eine jede Runde gezogen wird, tragen ihr Übriges dazu bei, dass die Erfahrung für alle außer den Verräter sehr frustrierend sein kann. Ich sehe, dass dies eine Entscheidung war, um es dem Verräter auch nicht unnötig schwer zu machen. Allerdings ist die Balance zwischen den beiden Lagern oft sehr zu Ungunsten einer Seite geneigt.
Die Gruppe macht das Spiel
Ob das Ganze funktioniert hängt dabei, wie bei allen Assoziationsspielen, auch von der Harmonie in der Gruppe ab. Wer sich gut kennt, kann vielleicht besser Hinweise geben und deuten, als Spieler, die sich zufällig an einem Spieleabend zusammenfinden. Und auch bei Obscurio gelten dieselben Anforderungen an Verräter, wie in anderen Spielen. Der Verräter muss dieser Rolle gewachsen sein. Er muss bluffen können und darf sich nicht verraten. Wer sich hier wiederum gut kennt, mag die Anzeichen vielleicht auch besser deuten können, als in einer Runde, die sich zufällig an einem Spieleabend zusammenfindet. Ihr seht, die Frage, ob Obscurio für euch als Gruppe geeignet ist, ist gar nicht mal so leicht zu beantworten. Wir können jedoch sagen, dass Obscurio einen zurückhaltenden Verräter leichter verzeiht, als andere Spiele das tun.
Tolle Illustrationen, tolles Material
Positiv erwähnen möchte ich das Spielmaterial. Zum einen sind dabei natürlich die vielen toll gestalteten Karten zu nennen. Verantwortlich für die Illustrationen sind Xavier Colette sowie M81 Studio. Beide haben bereits Erfahrung mit ähnlichen Spielen. So hat Xavier Colette beim Mysterium und Dixit: Journey mitgewirkt, M81 Studio hat Illustrationen für Shadows Amsterdam und Detective Club beigesteuert. Enstprechend gut gelungen sind die Karten-Illustrationen bei Obscurio. Die Bilder sind abwechslungsreich und nicht allzu düster. Es werden ganz unterschiedliche Settings, Stimmungen und Farbschemata genutzt, bei denen schöne Details in die abgebildete Szenerie eingearbeitet sind.
Aber auch der Rest des Materials ist durchdacht. So ist der Halter mit den Seiten des Grimoires aus mehrlagiger dicker Pappe, der Vertiefungen für die beiden runden Karten aufweist, damit diese nicht verrutschen, wenn sie mit dem Halter herumgereicht werden. Die Marker, die auf die Karten gelegt werden, sind wie auch der Halter selbst, sehr schwer und haften magnetisch auf dem Halter. Auch hier wurde sicherlich an das Herumreichen gedacht, damit ein Spieler die Karten besser betrachten kann.
Obscurio oder Mysterium?
Jan gefällt Obscurio besser als Mysterium. In Gruppen ab vier Spielern hat man hier eine softe Einsteigerversion eines Brettspiels mit Verräter-Mechanismus. Ich muss jedoch sagen, dass mir im Bereich der ähnlichen Assoziations-Spiele Mysterium einen Tick besser gefällt. Eine Runde Obscurio brilliert erst mit einer möglichst großen Spielerzahl, wo Mysterium auch schon mit weniger Spielern bereits gut funktioniert. Für zwei und drei Spieler funktioniert Obscurio sowieso nur als eine Variante ohne Verräter, die wir aber erst gar nicht getestet haben. Hier verliert Obscurio alles, was es besonders macht. Und es ist ab einer Gruppengröße von vier Spielern ein besonderes Spiel, das Spaß macht und das ich immer wieder gerne mitspiele, insbesondere da ich Jan für Mysterium nicht so oft begeistern kann, wie ich es gern möchte.
Euer Rating zu Obscurio
Das Spiel Obscurio ist bei Asmodee erschienen.
Für die Review wurde uns ein Rezensionsexemplar von Asmodee zur Verfügung gestellt.