Immer weiter, immer höher wachsen die Gebäude in unserer Hauptstadt. Mit den neuen Gebäuden zeigen wir, wer wir sind. Wir sind die Entertainer, wir bringen die Unterhaltung in die Welt und andere Kulturen brauchen uns. Doch bis wir dies erreicht hatten, war es ein langer Weg. Angefangen hat alles mit unseren kleinen Hütten, auf einem kleinen Hügel mitten in einem ursprünglichen Wald. Doch über die Jahrzehnte wuchs nicht nur unsere Hauptstadt, sondern auch das Land, welches unsere Nation ausmachte. Und mit dem Land wuchs auch unser Wissen, unsere Geschichte und unsere Kultur. Nun stehen wir also vor dem nächsten Schritt, wir verlassen diesen Planeten und werden unsere Reise weiter fortführen zu den Sternen.
Tapestry heißt das neue Brettspiel von Jamey Stegmaier, welches im Vorfeld schon für sehr viel Gesprächsstoff sorgte. Als es dann ausgeliefert wurde, waren die Meinungen zu Tapestry gespalten. Nachdem nun etwas Zeit vergangen ist, haben wir unsere Meinung zu Tapestry verfasst. Wie wir zu dem Brettspiel, welches auch von Feuerland Spiele veröffentlicht wird, stehen, könnt ihr nun nachfolgenden in unserem Review dazu lesen.
Der Tapestry Hype
Kurz zusammengefasst kann ich eins zu Tapestry sagen.: Ich mag Tapestry. Und ich finde Tapestry auch durchaus gelungen, für das was es ist. Für mich ist das Brettspiel wieder ein typisches Stonemaier Spiel. Und genau das hatte ich auch im Vorfeld erwartet, als ich die Vorbestellung für das Spiel abgegeben hatte.
Doch scheinbar wurde Tapestry vor der ersten Auslieferung schon auf ein Podest gehoben, was nur dafür sorgte, dass das Spiel diesen Erwartungen gar nicht gerecht werden konnte. Es sollte das ultimative Zivilisations-Brettspiel werden, aber genauso schnell und einfach zugänglich wie ein Flügelschlag. Da war es dann nur noch eine Frage der Zeit, bis die ersten gemischten Kritiken dazu eintrudelten und mit jeder Kritik fragte ich mich, ob es die richtige Entscheidung war, dieses Spiel zu kaufen.
Doch das Bauch-Grummeln war unnötig. Tapestry stellte sich für mich schnell als ein durchaus gutes Brettspiel heraus. Na klar hat es seine kleinen Fehler, auf die ich noch eingehen werde, aber im großen und Ganzen bin ich mit dem Gesamtpaket zufrieden. Und es passt in meine Erwartung von einem Stonemaier Games wie die Faust aufs Auge. Für mich sind dies Spiele, die relativ einfach und zugänglich sind, eine gute Prise an Glücks-Elementen haben, eine gehobene Produktionsqualität vorweisen und dann aber trotzdem noch genug Tiefe besitzen, dass es nicht nur bei einer Erst-Partie bleibt. Vielleicht regen sie auch gleichzeitig noch dazu an, eine gewisse Kontroverse oder einen Diskurs in der Brettspiel-Blase zu führen, aber das wäre ja nur das Sahnehäubchen.
Tja und schaue ich nun zurück auf die Spiele von Stonemaier Games, passt das alles auf die letzten Brettspiel-Veröffentlichungen inklusive Tapestry.
Tapestry im Detail
Schaue ich genauer auf Tapestry, so fällt schon nach einer Partie auf, dass das Brettspiel kein eigentliches Zivilisations-Spiel ist. Das was ein CIV-Spiel eigentlich ausmacht (einen soliden Technologie-Baum), suche ich genauso vergebens, wie ein Ausbreiten und Besiedeln auf dem Spielplan. Gerade diese Konzepte sind sehr rudimentär und heruntergebrochen. Oder wie man jetzt sehr aktuell sagt: sehr stark gestreamlined bzw. vereinfacht.
Ich kann zwar im Spielverlauf Technologien erforschen, diese sind aber an keinen Technologie-Baum gebunden. So kann es sein, dass ich zuerst die Lithium-Batterie erforsche und vor Spielende erst das Papier. Unterm Strich bringen mir neue Technologien im Großen und Ganzen nur mehr Sieg-Punkte oder Ressourcen ein. Einen spielerischen Vorteil, der sich vielleicht auf meine Forschung oder mein Militär auswirkt, gibt es nicht wirklich.
Aber das Militär braucht auch keinen Vorteil, denn das Militär ist faktisch nicht vorhanden. Möchte ich einen Landstrich einnehmen, platziere ich einfach einen meiner Outposts, werfe zwei Würfel, wähle eines der beiden Ergebnisse als Belohnung aus und fertig ist die Eroberung. Ist zufällig ein Outpost eines anderen Spielers schon präsent, dann hab ich automatisch gewonnen, es sei denn der Mitspieler zaubert eine Fallen-Karte aus seiner Hand hervor. So etwas sorgt zwar für einen schnellen Spielablauf, aber eben nicht für ein CIV-Gefühl, bei dem es ja auch darum geht, Truppen zu befehligen und sich je nach Spielweise als Aggressor zu behaupten oder als Verteidiger seine Ländereien zu schützen.
Wahrscheinlich hätte es Tapestry besser getan, wenn es auf die Bezeichnung „A Civilization Game“ verzichtet hätte, denn genau dieser Zusatz spricht einfach eine andere Spielerschaft an. Hier gibt es andere Brettspiele, die dieses Thema einfach spielerisch besser umsetzen. Wobei ich persönlich finde, dass es kaum ein Brettspiel schafft, genau das CIV-Gefühl bei mir zu erzeugen, was ich habe, wenn ich die digitalen Pendants dazu spiele. Sei es Sid Meier’s Civilization oder das komplexe Europa Universalis IV. Hier hat der PC einfach mehr Möglichkeiten gegenüber dem Brettspiel. Selbst den komplexen Through the Ages oder Nations fehlt noch der letzte Schliff, aber sie sind schon recht nah dran. Folge ich der Argumentation eines Spiele-Autors auf der SPIEL’19 haben Zufallselemente gar nichts in einem CIV-Spiel zu suchen. Und Zufalls- bzw. Glücks-Elemente gibt es genug in Tapestry.
Regeln in schlank
Dabei spielt sich Tapestry recht einfach und angenehm, denn ich kann während meines Zuges nur zwei mögliche Aktionen wählen: Entweder ich generiere Einkommen oder ich bewege mich auf einem der vier Fortschritts-Leisten (advancement tracks) weiter vorwärts.
Beim Einkommen (Income Turn) bekomme ich neue Ressourcen, neue Karten, kann eine Technologie aufwerten und, worauf es unterm Strich ankommt, generiere Sieg-Punkte. Denn am Ende gewinnt derjenige am Tisch, der nach 5 Runden die meisten Sieg-Punkte einstreichen konnte.
Und auch wenn es auf den ersten Blick wie ein Wettrennen aussieht, ist es das überhaupt nicht. Wie schnell ihr durch die „Zeitalter“ der Geschichte streift, ist eigentlich zweitrangig. So kann es auch schon einmal passieren, dass Spieler eins schon mit dem kompletten Spiel fertig ist, während Spieler zwei gerade erst die letzte Runde beginnt. In diesem Fall heißt es dann einfach abwarten für den ersten Spieler und vielleicht noch auf passive Sieg-Punkte hoffen.
Entscheide ich mich für den Fortschritt (Advance Turn), also einen weiteren Schritt auf einer der Fortschritts-Leisten, zahle ich je nach Feld eine bestimmte Anzahl an Ressourcen, um meinen Marker vorwärts zu bewegen. Auf dem neuen Feld mache ich dann die entsprechende Aktion, die thematisch zur Fortschritts-Leiste passt.
Im militärischen Bereich bedeutet dies in den meisten Fällen das Erobern von neuen Gebieten. Bewegt ihr euch auf dem Exploration-Track weiter, werdet ihr verdeckte Landschafts-Plättchen ziehen und diese dann auf dem Spielplan platzieren können.
Der Science-Track ist so ein bisschen der Supporter. Er hilft euch in erster Linie, auf den anderen Leisten vorwärts zu kommen. Dies ist besonders hilfreich, wenn euch vielleicht die entsprechende Ressource fehlt, vorausgesetzt ihr habt Würfelglück. Zumeist entscheidet nämlich der Science-Würfel und dessen Ergebnis, wo ihr euch weiterbewegen dürft.
Die letzte der möglichen Leisten ist der Technologie-Track. Hier geht es darum Technik-Karten zu bekommen und diese natürlich auch aufzuwerten, zusätzlich zu der einen Aufwertung, die ich während der Einkommens-Phase habe.
Auch wenn es erfreulich ist, dass die Regeln im Englischen auf schlanke vier Seiten passen, ist das aus meiner Sicht etwas zu wenig. Das ein oder andere Beispiel zur Verdeutlichung hätte den Regeln noch einmal gut getan. Ganz ohne Nachfragen auf BGG kamen wir dann doch nicht aus.
Tapestry ist schnell gelernt aber auch schnell gespielt?
Die simplen Mechaniken habe ich dann auch recht schnell verinnerlicht. Und so geht ein Zug schnell vonstatten, da ich ja im Vorfeld schon alles planen kann. Es sei denn jemand schnappt mir in seinem Zug eines der Gebäude weg, auf die ich eigentlich spekuliert habe. Dann heißt es in den meisten Fällen, doch noch einmal den eigenen Zug zu überdenken. Aber das ist eher die Ausnahme als die Regel. So spielt sich Tapestry flüssig und ohne große Downtime. Sieht man mal von den ersten Runden ab, wenn ein neuer Mitspieler am Tisch sitzt.
Dabei gefällt mir, dass die einzelnen Leisten auch miteinander verzahnt sind. Bei bestimmten Aktionen bekomme ich einen Bonus, je nachdem wie weit ich auf der gegenüberliegenden Leiste vorangekommen bin. Das heißt, ich muss eben auch vorausplanen. Ein stupides Voranschreiten auf nur einer Leiste kostet mich somit unterm Strich nicht nur Sieg-Punkte, sondern eben auch Aktionen, die ohne wirklichen Effekt sind. Und so passiert es mir im Moment immer noch sehr oft, dass ich mich am Ende einer Partie darüber ärgere, wie ich auf den Leisten voran geschritten bin. Doch somit bleibt auch Potential für eine weitere Partie, in der ich es besser machen kann.
Herausragende Komponenten
Eins kann ich nicht über Tapestry sagen: dass es an Produktionsqualität mangelt. Stonemaier Games zeigt mit Tapestry, welche Spiel-Komponenten man in ein normales Brettspiel packen kann. Wie schon bei Flügelschlag ist auch bei Tapestry das Papier der Komponenten wieder von sehr guter Qualität. Zusätzlich sind Spieler-Tableaus, Zivilisations-Übersichten und die Hauptstadt-Tableaus extra beschichtet, was den Tableaus eine rauere Oberfläche gibt. Vorteil: Dadurch bleiben die anderen Komponenten an Ort und Stelle und rutschen nicht ungewollt hin und her.
Aber der Blickfang schlecht hin sind natürlich die bemalten Wahrzeichen. Doch spielerisch sind sie eher hinderlich. Ich nutze diese Wahrzeichen, um meine Hauptstadt zu bevölkern. So komme ich an weitere Ressourcen, die unterm Strich relativ knapp sind und ja als Bezahlung meiner Aktionen dienen. Ich komme aber auch an Sieg-Punkte, die mir während der Einkommensphase ausgeschüttet werden, wenn ich es schaffe, Zeilen und Spalten komplett auszufüllen. Allerdings geht das Bebauen der Tableaus auf Kosten der Sichtbarkeit. Immer wieder blicke ich von oben auf mein Tableau, um nichts zu übersehen. Die großen handbemalten Wahrzeichen rauben einem eben gelegentlich die Übersicht.
Auch ist mir nicht ersichtlich, warum die Wahrzeichen mit ihrer Grundfläche nicht bündig sind mit dem Raster auf dem Haupstadt-Tableau. Ja, mir ist bewusst, dass dadurch die Hauptstadt etwas organischer aussieht, aber es geht eben wieder auf Kosten der Übersichtlichkeit.
Bis zu ihrem Einsatz werden die Wahrzeichen auf einem extra Tableau aufbewahrt. Durch die Fortschritts-Leisten habe ich die Möglichkeit, an jeweils drei Wahrzeichen heranzukommen. Jede Leiste hat ihre eigene Farbe und auch der Bereich auf dem Haus-Tableau ist identisch mit dieser Farbe. Warum man die Base der Wahrzeichen nicht auch in dieser Farbe gestaltet hat oder zumindest auf den Boden aufgedruckt hat, um welches Gebäude es sich handelt, erschließt sich uns nicht.
Natürlich hätten es hier auch einfache Plättchen getan, die ich auf meinem Tableau platziere. Aber diese Wahrzeichen sind eben auch ein Erkennungsmerkmal für das Brettspiel und dessen Produktions-Qualität.
Nettes Gimmick am Rande ist der Spielplan mit seinen abgerundeten Ecken. Dies sorgt schon für einen ungewöhnlichen Blickfang, da ich als Brettspieler ja eher an quadratische und praktische Spielpläne gewöhnt bin.
Das Tapestry in Tapestry
Die einfachste Übersetzung für Tapestry ist Wandteppich. Schaue ich allerdings auf dict.cc nach, wird mir auch „tapestry [fig.] [tapestry of history] – Komplexität“ vorgeschlagen. In diesem konkreten Fall bezieht es sich aber laut Jamey Stegmeier auf die Wandteppiche, denn ähnlich wie im Mittelalter sollen die Tapestry-Karten die Entwicklung und wichtige Errungenschaften auf eurem Tableau darstellen.
Natürlich unterliegen auch die Tapestry-Karten wieder dem Zufall. So kann es passieren, dass ich eine Karte im Spiel bekomme, die mir mehr oder weniger im aktuellen Zeitalter hilft. Dabei gilt, dass eine Karte immer nur für ein Zeitalter gültig ist oder mir beim Ausspielen einen Sofort-Effekt bringen.
So gibt es zum Beispiel eine Tapestry-Karte mit der ich ein beliebiges Wahrzeichen aus der allgemeinen Auslage auf meinem Hauptstadt-Tableau platzieren kann. Bekomme ich diese Karte sehr früh im Spiel, kann sie mir einen erheblichen Boost geben, der mich auf lange Sicht gesehen weit nach vorne bringt. Bekomme ich allerdings diese Karte am Ende der Partie bring sie fast gar nichts, da die meisten Wahrzeichen dann schon weg sind.
Einmal Zivilisation im Schnelldurchlauf
Ich finde Tapestry ist wieder ein klassisches Brettspiel aus der Feder von Jamey Stegmeier. Ich erkenne in vielen Details seine Handschrift wieder. Sei es, dass bekannte und von ihm favorisierte Mechanismen neu mit einander verwoben werden. Oder der Wunsch, dass ein Spiel einfach zugänglich sein soll und ich schnell mit dem Spielen anfangen kann, ohne vorher großartig die Regeln erklären und erlernen zu müssen, aber es dennoch genug Wieder-Spielreiz und Varianz gibt.
Ja Tapestry hat seine Macken. Natürlich ist es für mich kein CIV-Spiel, aber das habe ich ja schon geschrieben. Und auch die Überproduktion hätte nicht sein müssen und der damit verbundene hohe Preis. Aber trotzdem macht mir Tapestry immer wieder Spaß. Gerade wenn ich es mit Leuten spielen, die die Regeln können, ist es ein schnelles und lockeres Spiel, das mir genug Entscheidungen abverlangt.
Natürlich gibt es, typisch für Stonemaier Games, wieder einen sehr hohen Glücksfaktor. Natürlich ist es frustrierend, wenn das Glück einem nicht hold ist und ich deswegen eine Partie verliere. Doch hier stimmt das Verhältnis zwischen Glück und Zeit: Würde Tapestry etwas länger dauern, wäre es ein starker negativer Punkt. Doch dem ist nicht so. Es ist zu schnell vorbei, als dass ich mich wirklich stark darüber ärgern kann. Lieber schnell das Spiel zurückgesetzt und noch eine Revanche gespielt.
Und da das Spiel genug Varianz bietet, spielt sich jede Partie auch anders, nicht zuletzt wegen der 16 unterschiedlichen asymmetrischen Zivilisationen. Aber auch die namensgebenden Tapestry-Karten zwingen mich dazu, jede neue Partie neu anzugehen. Nur weil eine bestimmte Tapestry-Karte in der letzten Partie funktionierte, kann sie in einer neuen Partie genau das Gegenteil bewirken.
Im Moment spiele ich es immer wieder gerne, auch wenn es durch Essen noch genug andere Spiele gibt, die darauf warten, gespielt zu werden. Und so ist vielleicht die Entscheidung von Feuerland, das Spiel erst im nächsten Jahr auf Deutsch zu veröffentlichen, genau richtig. Denn so kann man vielleicht die Regeln noch etwas klarer gestalten. Auch die Änderungen am Balancing der Zivilisationen finden so noch ihren Weg in das Spiel.
Euer Rating zu Tapestry
Tapestry ist auf Englisch erschienen bei Stonemaier Games.
Auf Deutsch wird das Brettspiel bei Feuerland-Spiele zur Berlin Brettspiel-Con erscheinen.
Für die Review standen uns sowohl ein Vorbesteller-Exemplar, als auch ein kostenfreies Review-Exemplar zur Verfügung.
Meiner Meinung nach sind die Anweisungen etwas kurz. Besonders wenn ich alleine spiele, musste ich manchmal im Internet nach Antworten suchen.