„Komm rein“ klang es aus dem verdunkelten Zimmer. Ich nahm meinen Mut zusammen und ging langsam und mit bedächtigen Schritten hinein. Es ist ja nicht so, dass jemand wie ich jeden Tag eine Audienz beim Paten bekommt. Ich bin nur ein kleiner Handlanger in seiner Organisation. Aber ich hatte mir schnell den Ruf erarbeitet, nicht nur ein grobschlächtiger Schläger zu sein, wie viele seiner Leute. Nein, mich nannte man den Studierten, denn scheinbar glaubten viele, dass ich doch was im Köpfchen hatte. Und genau das schien der Pate jetzt zu brauchen: jemanden der ein wenig nachforschen konnte. Jemanden, der ein unbekanntes Gesicht besaß, so dass er nicht gleich das Gesicht verlieren musste bei dem was auf mich zu kam. „Setz dich“ sagte der Pate „Heute Nacht ist etwas schreckliches passiert…“
Hmm, Brettspiele im Mafia-Universum gibt es ja einige. Aber wie schaut es denn aus mit Escape bzw. Krimi-Spielen mit diesem Thema? Da wird die Ausbeute schon geringer, wenn sie nicht sogar gegen Null geht. Allerdings gibt es da jetzt eine Lösung für dieses Problem. Mit Vendetta aus dem Noctis Verlag gibt der kleine Verlag nicht nur sein Krimispiel-Debüt, sondern er bietet uns auch gleich eine Geschichte mit Mafia-Flair, in der die Familie das Allerwichtigste ist. Wie uns der Besuch beim Pate gefallen hat und ob wir ihn zufriedengestellt haben, das erfahrt ihr in unserem Test zu dem kleinen und doch recht ungewöhnlichen Krimi-Spiel Vendetta.
Viel Spaß beim Lesen!
Vendetta bedeutet Blutrache
Ein Krimispiel im Mafia-Umfeld lag da nun also auf dem Tisch. Und ich hatte eigentlich gar eine Lust darauf, das Spiel zu spielen. Denn nach dem Öffnen der Verpackung quoll es nur so über mit richtig gutem Material. Das ist jetzt nicht unbedingt ein negativer Punkt. Allerdings hatte mich die Erfahrung gelehrt, dass sehr viel Material eigentlich über spielerische Schwächen hinwegtäuschen soll. Und gerade bei einem Krimispiel ist die Spannweite doch sehr groß. Gerade die Spiele mit sehr viel authentischem Material haben eher eine schwache Story und konnten mich noch nie so wirklich in ihren Bann ziehen.
Doch okay, bevor wir Vendetta abstrafen, weil es unsere Augen mit schönem Material verwöhnt, geben wir dem Spiel dann doch noch einmal eine Chance. Außerdem freut sich Jasmin immer irgendwie darüber, wenn wir solche Krimispiele zusammenspielen. Und hey, es soll ja sogar Escape-Elemente haben!
Den richtigen Weg wählen.
Der Aufhänger für Vendetta ist recht simpel: Unserem Chef, besser gesagt unserem Don ist etwas Schlimmes passiert, sein Sohn ist bei einem Schusswechsel ums Leben gekommen. Und nur wir als sein treuster Untergebener können uns um diesen Fall kümmern. Was ist da also passiert? Worin ist sein Sohn da verwickelt gewesen? Wer hat ihn erschossen? Und die vielleicht wichtigste Frage: War es mit Absicht geschehen, um der Familie zu schaden? So werden wir in die Geschichte gestoßen und müssen unsere Arbeit beginnen.
Doch bevor wir dies machen können, gilt es die erste Entscheidung zu treffen. Wie gehen wir mit dem Schmerz um, den unser Don nun erlebt? Sprechen wir dem Don unser Mitgefühl aus? Gehen wir nüchtern an die Ermittlungen? Oder steigern wir uns in einen Blutrausch?
Das müssen wir als Spieler entscheiden.
Und genau damit hatte mich Vendetta getriggert. Denn jede Entscheidung bedeutet bei Vendetta, dass Karten aus dem Spiel genommen und in das trockene Grab der Spielschachtel gelegt werden. Aus den Augen, aus dem Sinn. Ob wir die richtige oder falsche Entscheidung getroffen haben? Wir werden es niemals erfahren, wir müssen mit unseren Entscheidungen leben.
Und genauso zieht es sich durch das ganze Spiel: Betreten wir einen Ort, müssen wir uns entscheiden, wie wir agieren. Und je nach Entscheidung fliegen Karten aus dem Spiel. Allerdings keine Panik, es fliegen keine Karten aus dem Spiel, die uns wichtige Informationen vorenthalten würden. Egal, wie wir uns entscheiden, am Ende haben wir alle Infos, die wir brauchen, um den Fall hoffentlich zu lösen.
Vendetta macht einfach Laune
Was mir richtig gefallen hat, ist die Freiheit, die man uns in Vendetta an die Hand gibt. Während ich in anderen Krimispielen, wie zum Beispiel bei Chronicles of Crime, eine gefühlt offene Welt habe, was sich allerdings als Trugschluss erweist, habe ich das in Vendetta zu 100%. An welchem Ort ich meine Untersuchungen beginne oder weiterführe, bleibt mir überlassen. Klar liegt es in der Natur der Dinge, dass einige Orte mir mal mehr mal weniger sagen, weil ich die Informationen schon habe oder eben nicht habe.
Aber trotzdem werdet ihr am Ende alle Orte besucht haben, um euch ein umfassendes Bild machen zu können. Und das ganz ohne Zeitdruck, wie es bei einem Detective der Fall ist. Was allerdings nicht bedeutet, dass Vendetta nur ein kleines Intermezzo ist. Einen ganzen Spielabend solltet ihr schon einplanen. Denn es gibt viel Text zu lesen, viele Hinweise auf den Karten zu entdecken und das ist das Wichtigste: Es gibt unheimlich viel zu spekulieren.
Bei uns ging es schon ab dem zweiten Ort los – die wilden Spekulationen sprießten. Und mit jedem weiteren Ort wurden Vermutungen und Spekulationen wieder verworfen, weil neue Informationen zutage kamen. Bis natürlich irgendwann der Punkt kam, an dem der Fall gelöst war und die neu aufgestellte Theorie nicht mehr umgeworfen, sondern nur noch mit den neuen Hinweisen untermauert wurde.
Dies passierte in unserem Fall allerdings auch nicht so schnell und so machte es eben auch lange Spaß, bis uns dann die Erkenntnis traf, wie das denn alles zusammenhing. Und als wir den Fall dann lösten, waren einfach mal so ein paar Stunden vergangen, ohne dass wir dies mitbekamen, so gefesselt waren wir von diesem Erlebnis.
Tolles Erstlingswerk vom Noctis Verlag
So muss ein Krimispiel bzw. Thrillerspiel sein. Ein paar kleine Rätsel, die allerdings nicht allzu schwer waren, dazu super illustrierte Karten und nicht einfach nur Stock-Bilder und hauptsächlich eine gut verpackte Story. Oben drein gab es dann auch noch ein paar verschlossene Umschläge, die wir im Laufe der Partie öffnen durften und auch ein Ermittlerblatt, auf dem wir unsere Informationen sammeln konnten. In einem Wort: Wow!
So müssen für mich solche Spiele gestrickt sein. Ich möchte Entscheidungen treffen können. Ich möchte das Gefühl haben, wirklich zu ermitteln und nicht nur Akten sortieren zu dürfen. Ich möchte eine Story erleben, auch wenn sie vielleicht nicht ganz so tief ist und mit vielen stereotypen Erzählsträngen daher kommt. Und ich möchte schlussendlich auch, dass die Story und der Fall in sich logisch sind und ich mich nicht nach dem ersten Hinweis schon veräppelt fühle, weil der bereits reichte, um den Schuldigen zu entlasten oder zu überführen, wie ich es bei anderen Vertretern in dieser Sparte doch das ein oder andere Mal zuvor erlebt habe.
Und genau das bietet mir Vendetta. Dazu bin ich noch genau auf der anderen Seite des Gesetzes und bin eben nicht der strahlende Hüter von Recht und Ordnung. Als ob dies nicht genug wäre, lässt uns der Noctis Verlag auch noch nach Abschluss des eigentlichen Falles noch eine kleine Extra-Runde Vendetta drehen, die nicht weniger Diskussionen bei uns am Spieltisch ausgelöst hat.
Wo bleibt Vendetta 2 – Die Rückkehr des Paten?
Ich freue mich schon auf neue Abenteuer vom kleinen Verlag, auch wenn sie die Latte mit Vendetta bereits recht hoch gelegt haben. Doch ich traue den Autoren zu, dass sie das ohne Probleme packen.
Einen kleinen Finger muss ich allerdings trotz all der Lorbeeren dennoch heben. Um die Rätsel lösen zu können, braucht ihr ein internetfähiges Gerät. Dies steht allerdings nicht explizit auf der Verpackung drauf. Klar, heutzutage hat das ja eigentlich jeder. Aber, wenn ihr das Spiel jetzt auf einer Almhütte habt und mit euren Freunden das Spielen wollt und es ist kein Internet vorhanden, schaut ihr sprichwörtlich in die Röhre.
Auch müsst ihr euch darüber klar sein, das Thema von Vendetta ist die Mafia und ihr helft einem Don bei seinen Geschäften. Gerade hier solltet ihr schon schauen, dass ein solches Spiel nicht unbedingt mit den Kindern an einem Sonntag-Nachmittag gespielt wird.
Zum Schluss bleibt mir nicht viel zu sagen, außer: Chapeau Noctis Verlag, da habt ihr wirklich ein sehr gutes Spiel entwickelt.
Nicht umsonst, ist Vendetta bei uns mit dem Brettspiel-Award 2021 für die Überraschung des Jahres 2021 ausgezeichnet worden.
Euer Rating zu Vendetta
Vendetta ist auf Deutsch beim Noctis Verlag erschienen.
Für die Review stand uns ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.