Der Kaffee ist gebrüht und dampft und wohlriechend in unseren Tassen. Die Fallakte liegt vor uns ausgebreitet. Wir haben am Whiteboard alle möglichen Verstrickungen der möglichen Täter nochmal visualisiert. Irgendetwas ist uns entgangen. Vielleicht nur eine Kleinigkeit, eine Spur, der wir nicht bis zum Ende gefolgt sind. Die Ungewissheit frisst uns auf. Doch wir haben keine Zeit mehr. Wir müssen den Fall jetzt aufklären, denn das ist es, was ein Detective nunmal tut.
Heute möchten wir euch von einem besonderen Spielerlebnis berichten. Wir haben mittlerweile alle Fälle gespielt, die in dem jüngst erschienenen Kriminalspiel Detective: A Modern Crime Board Game von Przemysław Rymer, Ignacy Trzewiczek und Jakub Łapot enthalten sind. Das bei Portal Games erschienene Spiel ist kein Brettspiel im eigentlichen Sinne. Das Erlebnis war eher eine Mischung aus Krimidinner ohne Dinner und einem T.I.M.E. Stories Abenteuer. Ihr könnt es alleine oder mit bis zu fünf Personen spielen. Wir würden euch allerdings raten, es ab drei Personen anzugehen. Die soziale Interaktion, die Gedanken, die ihr über das Erfahrene austauscht und auch unterschiedliche Meinungen zu vermeintlich klaren Sachlagen machen sich mit mehr Spielern einfach besser. Doch worum geht es eigentlich bei Detective?
ACHTUNG: Wir versuchen euch, keine Zusammenhänge aus dem eigentlichen Spiel zu nennen, sondern nur grundlegende Spielmechaniken an generischen Beispielen. Somit ist dieses Review spoilerfrei.Detektiv Spielen mit modernen Mitteln
Ihr seid Ermittler bei Antares, einer noch jungen Organisation, die mit modernsten Mitteln diverse Fälle aufklären soll. Dabei habt ihr Zugriff auf eine Datenbank, die eigens für das Spiel angelegt wurde und über eine Webseite erreichbar ist. Hier könnt ihr Namen eingeben, um Akten zu Personen einzusehen, DNA-Spuren und Fingerabdrücke abgleichen und Aufzeichnungen alter Verhöre und Fälle ansehen. Für das Spiel selbst habt ihr einen Plan mit Orten. Es gibt das Antares Hauptquartier, das Labor, das Gerichtsgebäude, das Richmond Polizeirevier. Zusätzlich könnt ihr auch noch Feldarbeit betreiben, bei der ihr verschiedene andere Orte besuchen könnt. Zu jedem Fall gehört neben einem ausführlichen Briefing durch euren Vorgesetzten ein Stapel Karten. Jede dieser Karten enthält verschiedene weitere Spuren, denen ihr nachgehen könnt. Welche davon ihr verfolgt und welche euch unwichtig erscheinen, müsst ihr dabei selbst entscheiden.
Unbezahlte Überstunden
Ihr werdet im Verlauf eines Falles nie alle Karten zu Gesicht bekommen, denn jede Ermittlungsarbeit kostet euch eine vorgegebene Menge an Zeit, in der Regel zwischen einer und vier Stunden. Und Zeit habt ihr nicht unbegrenzt. Der moderne Ermittler hat einen geregelten 8 Stunden Tag. Wie viele Tage ihr bis zum Abschluss des Falles Zeit habt, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Überstunden sind nur bedingt möglich, da jede Überstunde euch Stress-Tokens einbringt und jeder Fall ein Stresslimit hat. Erreicht ihr dies, muss der Fall sofort beendet werden. Außerdem bringen Stresstokens am Ende in der Wertung nochmal Punktabzug. Falls euch das wichtig ist, solltet ihr Stress also möglichst vermeiden und im gesteckten Zeitrahmen bleiben.
Wenn ihr euch dafür entscheidet, einer bestimmten Spur zu folgen, z.B. zum Gericht zu fahren und dort die Prozessakte einer Verhandlung anzusehen oder ins Labor zu fahren und dort das Ergebnis einer Tatortuntersuchung anzusehen, kostet es euch erst mal Zeit, an diesen Ort zu fahren, denn der Verkehr in Richmond ist die Hölle. Es kostet euch ebenfalls Zeit, die gewünschten Informationen zu bekommen, denn die Mitarbeiter dort haben auch noch andere Dinge zu tun. Das alles wird in viel Flavor-Text auf den Karten erzählerisch verpackt. Auch wenn ihr euch mit Personen unterhaltet, geschieht das meist mittels Text. Es wird wirklich viel gelesen bei Detective und einen talentierten Vorleser in der Gruppe zu haben, erzeugt erst die richtige Stimmung. Auch wenn hinterher sowieso jeder nochmal selbst auf die Karte schaut.
Neben dem Text findet ihr manchmal Hinweise auf reale Begebenheiten oder Personen. Hinter einigen davon ist ein Zeichen abgebildet, das wie ein Wi-Fi-Symbol aussieht. Das zeigt euch, dass ihr hier das Internet bemühen könnt und teilweise sogar müsst, um diese Hinweise richtig einzuordnen. Manchmal sind es nur weiterführende Informationen, die euch tiefer in die Story eintauchen lassen. Manchmal ist die Recherche aber auch zwingend notwendig, um im Fall voranzukommen.
Wir müssen noch tiefer graben…
Seid ihr mit dem Ergebnis der Karte nicht zufrieden, hat die Aktion nicht die gewünschten Zusammenhänge geklärt oder euch kommt etwas faul vor? Dann habt ihr oft die Möglichkeit, noch etwas tiefer zu graben, einen Zeugen mehr unter Druck zu setzen oder die Akte einfach nochmal gründlicher durchzusehen, indem ihr als Ermittlerteam ein passendes Token ausgebt. Dann und nur dann dürft ihr die Karte umdrehen und auch die Rückseite lesen. Das kann wichtige Erkenntnisse bringen. Es kann aber auch ein Griff ins Klo sein.
Jeder eurer Ermittler bringt dabei passend zu seinem Job bestimmte Tokens mit in den allgemeinen Pool. Der Datenalayst ist besonders begabt im Umgang mit Computern. Die Psychologin macht sich gut bei Gesprächen mit Menschen. Gesprächstokens und Computertokens sind zwei der vier verschiedenen Token-Typen, die zum Einsatz kommen. Insgesamt können bis zu fünf Ermittler mit im Team sein. Seid ihr weniger Spieler, wird jeder fehlende Ermittler durch einen Consultant ersetzt, der mehr Tokens mitbringt, aber keine Spezialfähigkeit hat. Die Spezialfähigkeiten der Ermittler können einmal am Tag genutzt werden. Hierbei könnt ihr zum Beispiel ein Stress-Token abbauen, euch die Rückseite einer Karte, die ihr bereits abgehandelt habt, später doch noch ansehen (Das geht normalerweise nicht, denn vorbei ist vorbei.) oder die Spezialfähigkeit eines anderen Ermittlers noch einmal nutzen.
Informationen im Überfluss
So bekommt ihr mit jeder Spur mehr Namen, mehr Zusammenhänge, mehr Raum für Spekulation. Es tauchen Zusammenhänge auf, mit denen ihr nicht gerechnet hättet oder die nicht ins Gesamtbild passen. Dann müsst ihr überlegen, was der Grund sein könnte oder eine neue Lösung finden. Ihr müsst gemeinsam entscheiden, in welche Richtung ihr mit den neuen Erkenntnissen und den neuen Spuren, die sich durch die zuvor abgehandelte Karte ergeben haben, nun weiter ermitteln möchtet. Wollt ihr einer Spur bis ins kleinste Detail folgen, um absolute Sicherheit zu haben? Wollt ihr eine andere Spur aufgreifen, der ihr bisher noch gar nicht gefolgt seid? Das Spiel hat eine unheimliche Sogwirkung. Es gibt so viele Informationen, so viele Lücken, die man mit Spekulationen füllen kann, dass man sich schnell darin verlieren kann.
Das erfordert ein großes Maß an Organisation auf eurer Seite. Denn die Informationen systematisch zu ordnen, liegt an euch. Die Anleitung empfiehlt, ein Whiteboard oder ähnliche Hilfsmittel. Zumindest Notizen braucht es aber auf jeden Fall. Es wird ebenfalls empfohlen, dass ihr euch die Aufgaben in eurem Team aufteilt. Auch dafür ist es sinnvoll, mehrere Mitspieler zu haben. Einer ist dann z.B. verantwortlich, den zeitlichen Ablauf im Auge zu behalten. Ein anderer checkt neue Erkenntnisse mit alten gegen. Trotz allem kann die Flut an Informationen überwältigend wirken und ihr müsst aufpassen, euch nicht in Nebensächlichkeiten zu verlieren, weil ihr zu neugierig seid.
Abgerechnet wird am Schluss
Dann hilft nur noch eines: Sich auf das Briefing zurückbesinnen und auf die Fragen, die ihr tatsächlich bis zum Ende des Falles beantworten können sollt. Bereits im ersten Fall und mit den folgenden Fällen noch verstärkt, bekommt ihr Informationen, die euch in weiteren Fällen helfen. Sie sind Teil eines großen übergreifenden Plots. Jeder Fall fühlt sich an wie eine Episode einer Serie. Und wie in einer guten Krimiserie, wollen wir am Ende einer Episode natürlich eine Auflösung bekommen. Hierfür gibt es eine Reihe von Fragen, die ihr auf der Webseite der Antares Datenbank beantworten müsst. Jedes Ermittlerteam hat dort seinen eigenen Account, durch den die Fortschritte mit verfolgt werden. Die ersten Fragen, die ihr beantwortet, sind direkt die aus dem Briefing.
Die Königsdisziplin sind jedoch die weiterführenden Fragen. Hier wird geprüft, welche Details abseits des Hauptteils des Falles ihr zusammentragen konntet. Auf diese Fragen könnt ihr euch fast nicht vorbereiten. Entweder ihr wisst es oder eben nicht. Wir haben oft auch beim Lesen der Frage nochmal diskutiert und unsere Fakten gecheckt, ob wir eine der Antworten im Multiple Choice als richtig betrachten oder doch einfach keine Ahnung haben. Noch schwieriger fiel uns der Teil Beweise im Abschlussbericht. Man glaubt nicht, wie schwer es sein kann, an handfeste Beweise zu kommen. Hier prüft die Webseite einfach, welche DNA-Spuren, Fingerabrücke und sonstige handfeste Beweise ihr bereits eingetragen habt und vergibt Punkte. Zieht man die Überstunden ab, steht am Ende dann eine Zahl.
Über alle fünf in der Grundbox enthaltenen Fälle hinweg ergibt sich, wie bereits erwähnt, eine übergreifende Story. Personen, über die ihr stolpert, haben oft Berührungspunkte mit anderen Personen, die vielleicht nichts mit dem aktuellen Fall zu tun haben. Aber in einem der weiteren Fälle können sie wichtig werden. Auch andere Hinweise und Zusammenhänge, die euch gerade nicht weiter helfen, tun dies bestimmt im Verlauf des größeren Plots. Stoßt ihr auf einen wichtigen Hinweis für einen der folgenden Fälle, dürft ihr sogenannte Plotkarten aus dem aktuellen Deck zum zukünftigen Fall hinzufügen. Das repräsentiert einen Wissensvorsprung, den ihr ermittelt habt.
Habt ihr alle fünf Fälle gespielt, kommt am Schluss nochmal eine Gesamtbewertung. Allerdings ist die Geschichte, die ihr dann erlebt habt, viel mehr wert, als alle Punktewertungen.
Ein einmaliges Spielerlebnis – Wenn ihr dafür bereit seid
Was uns an Detective am meisten beeindruckt hat, ist die tolle Geschichte, die im Hintergrund erzählt wird. Dass man nie alles genau weiß, sondern viel spekulieren muss und dann versucht, seine Theorien zu belegen, ist gewöhnungsbedürftig. Wer gerne alle Karten sehen würde und alles bis ins kleinste Detail herausfinden möchte, der wird mit der starken Limitierung durch das vorgegebene Zeitkontingent eher frustriert. Bei uns hat es jedoch gut gezündet. Wir waren motiviert, möglichst effizient vorzugehen. Das hat zu schönen und konstruktiven Diskussionen geführt… okay, manchmal waren sie auch ziemlich hitzig, wenn jeder dachte er hätte recht und die anderen nicht 😉
Das Regelheft konnte uns im Großen und Ganzen von sich überzeugen. Was manchmal gehakt hat, sind die Spezialregeln für die einzelnen Fälle. Die waren in der englischen Version nicht immer klar beschrieben. Noch eine Kleinigkeit hat uns viel Zeit gekostet, für die das Spiel aber nichts kann: Es gibt in der englischen Version einen Druckfehler, der bei einer Spur die falsche Kartennummer nennt. Das war auf der Antares Webseite beim Beginn des Falles deutlich lesbar und fett rot als Hinweis dargestellt. Wir haben es uns sogar nochmal notiert und dann doch vergessen, als es drauf an kam. Das war unsere eigene Schuld. Trotzdem finden wir es gut, dass die Webseite für solche Hinweise genutzt werden kann. Sie ist eben ein Stück Code und damit jederzeit veränderbar. Die gedruckten Karten sind das nicht. In der deutschen Version sollte dieser Fehler behoben sein.
Grund für Kritik an Detective gab es auch für die verwendeten klischeehaften Texte. Ja, wir geben zu, dass es nicht immer toll ist, wenn auf einer Karte beschrieben ist, dass man auf eine Akte aus einem Archiv wartet und dabei Kaffee trinkt. Trotzdem haben die Texte bei uns für eine dichte Stimmung gesorgt. Wir haben uns durch die Beschreibung von Alltäglichem eher drin gefühlt. Auch die Webseite mag ein wenig klischeehaft wirken. Sie sieht nicht aus, wie die Schnittstelle zu einer Datenbank im realen Leben. Aber sie sieht aus, wie die Datenbankschnittstellen, die uns Krimiserien im Fernsehen als realistisch verkaufen wollen. In James Bond Filmen werden auch Monitore zerstört, um Computer zu zerstören. Das ist ebenfalls nicht realistisch, aber das was wir erwarten. Ob ihr euch an solchen Beschreibungen stört oder nicht, müsst ihr für euch selbst entscheiden. Uns hat es jedenfalls nichts ausgemacht.
Sehr gut gefallen hat uns der Einsatz der Webseite mit der Antares Datenbank und auch des Internets als Recherchemittel. Hier kommt so viel Stimmung auf und die Immersion ist so viel größer, als wenn man nur Text von Karten liest. Man wird sehr stark zum mitmachen aufgefordert. Gut ist, dass man mit mehreren Geräten gleichzeitig im eigenen Account der Gruppe eingeloggt sein kann. So haben wir z.B. häufig eine Sache auf dem Laptop nachgeschaut, während einer auf dem Handy schnell einen Fakt an anderer Stelle auf dem Handy gecheckt hat. Bereits jetzt werden diese Mittel sehr zielgerichtet von Portal Games eingesetzt. Uns hat das Recherchieren viel Spaß gemacht. Einzig und allein die Beschränkung, nur Namen eingeben zu dürfen, bei denen das explizit durch das Spiel vorgegeben ist, erschien uns nicht logisch. Als Ermittler sehen wir es eher als unsere Aufgabe zu entscheiden, welche Personen wir gerade für interessant für die Ermittlung halten. Dieses kleine Manko ist aber auch so ziemlich alles, was wir an Detective zu kritisieren haben.
Wir hatten viele Stunden Spaß mit Detective. Hitzige Diskussionen Wer mit Wem und Warum haben unsere Partien geprägt. Und jetzt heißt es für uns warten auf Nachschub.
Euer Rating zu Detective
Detective ist auf Englisch bei Portal Games erschienen. Alles hier gezeigte Material entstammt der englischen Ausgabe. Es handelt sich jedoch um das normale enthaltene Spielmaterial. Auf die Abbildung der durch Vorbestellerbonus erhaltenen Zusatzmaterialien haben wir verzichtet. Eine deutsche Version wird bei Pegasus Spiele im Vertrieb sein.
In unserm Podcast Rheingespielt haben wir auch schon eine ganze Podcast-Episode Detective gewidmet.