Satoshi betritt die Arena. Mit seinem schwungvollen Drachenschlag ist er schnell der Beste. Doch er kann sich nur kurz in seinem Ruhm sonnen, denn schon wenige Augenblicke später kommt Misao und verweist Satoshi in seine Schranken. Der Kontrahent gibt sich nicht geschlagen. Nur einen Augenblick später kommt er gestärkt zurück. Irgendwie hat er nun den goldenen Handschuh des Pandas gefunden, der ihn doppelt so stark machen sollte. Doch damit herrscht im Moment nur ein Gleichstand der Kräfte. Weder Misao noch Satoshi zeigen eine Schwäche. Keiner der beiden bewegt sich auch nur einen Millimeter. Womit beide jedoch nicht gerechnet haben, ist das Auftauchen von Kichiro! Mit einem lauten Krachen landet er genau zwischen den beiden Gegnern und lässt sie zu Boden gehen. Der Gewinner der Custom Heroes steht fest, jedenfalls für diese Runde.
Custom Heroes von AEG ist ein Stichspiel, aber keines im klassischen Sinn. Ihr müsst zwar immer noch Stiche bedienen aber das ist eigentlich die einzige Gemeinsamkeit mit den Stichspielen. Was Custom Heroes im Vertrieb von Asmodee anders macht und warum dieses Stichspiel auch zu zweit funktioniert, beschreibt diese Review.
Custom Heroes – Mit Modifikationen zum Sieg
Eigentlich ist Custom Heroes auf den ersten Blick nichts Besonderes. Ein Startspieler eröffnet einen Stich und reihum muss nun jeder weitere diesen Stich bedienen, indem er eine Zahl spielt, die entweder gleich der ausliegenden Zahl ist oder höher. Wer nicht legen kann muss passen und wenn alle gepasst haben, ist der Stich zuende. Wer als letztes eine Karte auf den Stich gespielt hat, gewinnt den Stich und eröffnet den nächsten. Dies wird so lange fortgesetzt, bis nur noch ein Spieler Karten auf der Hand hat. Dann wird die Runde beendet und es findet eine Wertung statt. Also erst einmal Gähn.
Aber! Custom Heroes ist mehr – viel mehr. Das beginnt schon mit dem Stich: Derjenige der den Stich beginnt, bestimmt durch die Anzahl der ausgespielten Karten, wieviele Karten benötigt werden, um den Stich zu bedienen. So kann er zum Beispiel anfangen und 3 zweier Karten ausspielen. Um diesen Stich zu bedienen, müssen alle weiteren Spieler 3 Karten ausspielen. Immer mit dem einem Kartenwert, der höher oder gleich dem aktuellen Stich ist.
Okay das ist zwar schon mehr, als in anderen Stichspielen, aber noch nicht so viel, um unsere Begeisterung für das Spiel zu erklären. Nun ist es so, dass ihr in Custom Heroes nicht die meisten Stiche gewinnen müsst, um das Spiel zu gewinnen. Ihr müsst nur versuchen, als Erster eure Hand leer zu bekommen. Habt ihr das geschafft, gewinnt ihr die Runde und bekommt so in der Wertungsphase Siegpunkte. Aber auch das hebt das Spiel noch nicht aus der Masse an anderen Stichspielen hervor. Es ist das Custom in Custom Heroes, was das Stichspiel einzigartig und interessant macht. Im Laufe des Spieles modifiziert ihr nämlich eure Karten durch Aufwertungen. So wird aus einer Karte mit dem Wert 7 eine Karte mit dem Wert 16. Oder ihr verpasst einer Karte die Sonderfähigkeit, dass sie wie zwei Karten zählt. Der Trick dabei ist, dass diese Aufwertungen jedem Spieler zur Verfügung stehen, aber erst einmal bis zum Ausspielen vor den anderen geheim gehalten werden.
Sleeves und Karten
Dabei greift Custom Heroes auf das gleiche System zurück, das auch schon für Mystic Vale genutzt wurde. Eure Karten befinden sich in durchsichtigen Sleeves und werden mit anderen durchsichtigen Karten auf- bzw. abgewertet. Der Erfinder hinter dieser Card-Crafting genannten Mechanik ist John D. Clair. Und Custom Heroes war das eigentliche Spiel, das er damals bei AEG vorgestellt hatte. Diese haben daraus Mystic Vale gemacht und nun, fast ein Jahr später, kommt das ursprüngliche Spiel (auf deutsch) hinter der Idee auf die Spieltische.
Durch das Card-Crafting schafft es das Stichspiel, dass es immer spannend bleibt. Ich kann zwar während der Runde eine gewisse Strategie beachten, um meine Hand schnell leer zu bekommen, aber ich weiß nie, wie der Gegner seine Karten modifiziert. Dadurch kann so eine Strategie auch schnell in die Hose gehen, denn im Gegensatz zu anderen Stich-Spielen muss ich nur meinen Gegner ausbooten. Kann dieser nämlich einen Stich nicht bedienen, so passt dieser. Und nun kann aber trotzdem noch weiter in der Runde der Stich bedient werden. Selbst wenn nur noch ein Spieler am Tisch den Stich bedienen kann, er spielt dann einfach seine Hand leer. Denn das Ziel ist ja nicht viele Stiche zu gewinnen, sondern die Hand leer zu bekommen.
Wenn ihr jetzt denkt, dass jemand mit einer starken Hand ja dann den Tisch dominiert, der irrt. Denn hier steuert Custom Heroes gekonnt dagegen. Nach der Runde werden alle ausgespielten Karten gesammelt, neu gemischt und an die Mitspieler verteilt. So kann eure in der letzten Runde kostbar zusammengebaute Karte nun in den Händen von euren Gegenspielern sein. Erneut müsst ihr euch eine andere Strategie überlegen. Und genau das ist es auch, was uns an Custom Heroes gefällt: Kein Spiel gleicht dem anderen.
Jede Runde muss ich mich auf die neue Situation, auf die neuen Karten und Aufwertungen einstellen. Und dennoch ist es schnell gespielt. Im Minimum müsst ihr zwei Runden spielen, um an die erforderlichen Siegpunkte zu kommen. Im Durchschnitt sind es so um die 4 bis 5 Runden. Und selbst wenn es immer wieder keinen eindeutigen Sieger geben sollte, ist spätestens nach der sechsten Runde Schluss, so dass eine Partie auch schnell innerhalb einer halben Stunde gespielt ist. Getreu dem Motto: Schnell erklärt, schnell gespielt.
Eine Überraschung von der SPIEL 18
Stichspiele haben es bei uns schwer im Haushalt. Zum einen fehlt es meistens an dem dritten Mitspieler, den ein Stichspiel meistens braucht und zum anderen ist meine Frau generell kein großer Freund von diesen Spielen. Doch Custom Heroes ist einfach anders. Zum einen ist da der Manga-Comic-Stil der aus der Masse hervorsticht. Es sticht sogar soweit hervor, dass unsere Tochter sich dieses Spiel aus dem Fundus an Essen Brettspielen als erstes herausgepickt hat.
Der andere positive Aspekt ist, dass es eines der wenigen Stich-Spiele ist, die auch zu zweit funktionieren und das liegt einfach an den Aufwertungskarten. Denn diese geben dem Spiel die Unsicherheit, die ein Stich-Spiel braucht. Ein simples aber geniales Konzept. Ich konnte es mir selbst nicht vorstellen, bis zur ersten Partie. Denn liest man die Regeln, kommt einem irgendwann unweigerlich der Gedanke: „Aber ich weiß doch, was der andere auf der Hand hat und kann dies genau gegen ihn benutzen.“ Doch es steckt genug Zufall im Spiel drin, damit es klappt.
Und damit der Zufall noch weiter zugespitzt wird, werden auch die Boni am Ende einer Runde asymmetrisch verteilt. Der Gewinner bekommt ja eh schon Siegpunkte. Davon muss er insgesamt mindestens 10 sammeln, um das Spiel zu gewinnen. Allerdings braucht er diese Siegpunkte bevor die Boni ausgeschüttet werden. Die Verlierer der Runde bekommen im Gegenzug mehr Aufwertungen und mehr Energie-Token. Die werden benutzt, um bestimmte Aufwertungen zu spielen, die ihnen einen erheblichen spielerischen Mehrwert geben. Durch diesen Mechanismus bleiben sie am Ball und dadurch bleibt das Spiel spannend.
Custom Heroes hat allerdings einen kleinen Haken. Und das ist das Material. Wie schon bei Mystic Vale bestehen die Karten aus Plastik, was ja auch nicht anders geht, da es noch kein haltbares durchsichtiges Papier gibt. Allerdings sind alle Karten mit einer Schutzfolie überzogen und das produziert natürlich Abfall. Natürlich ist diese Schutzfolie dazu da, dass keine Kratzer auf den Karten entstehen, jedenfalls bis die Ware beim Kunden ist. Denn sobald ihr spielt und die Folie entfernt, kommen die ersten leichten Kratzer auf die Karten und führen die Schutzfolie eigentlich ad absurdum. Vielleicht könnte man hierbei in Zukunft bei der Produktion etwas ressourcenschonender vorgehen.
Stich, Sieg und Custom Heroes
Unterm Strich ist Custom Heroes für mich ein richtig gutes Spiel. Es macht einfach viele Sachen richtig, ohne sich dabei großartig zu verbiegen oder regelkomplex zu werden. Sei es der simple und schnelle Spielablauf, wodurch eine Partie selbst mit mehr als 4 Spielern nicht länger als 30 Minuten braucht. Sei es der Kniff durch die anpassbaren Karten, womit das Spiel als Stich-Spiel auch zu zweit funktioniert.
Natürlich wird das Spiel niemanden überzeugen können, der sowieso keine Stich-Spiele mag. Aber das will das Spiel auch gar nicht schaffen, es ist einfach nur eine weitere und gute Genre-Alternative, die noch öfter bei uns auf dem Tisch landen wird. Auch weil unsere große Tochter sich immer wieder darüber freut, wenn sie einen von uns in die Pfanne hauen kann und den Stich für sich entscheiden kann.
Was allerdings am Anfang etwas abschrecken könnte, ist der auf den ersten Blick zunächst befremdliche Siegmechanismus. Aber spätestens nach der ersten Runde, habt ihr diesen auch verstanden bzw. anderen Mitspielern besser anschaulich gemacht.
Ansonsten gilt: Wenn ihr die Chance habt, eine Proberunde zu spielen, spielt unbedingt mit. Meiner Meinung nach lohnt es sich!
Euer Rating zu Custom Rating
Custom Heroes ist auf Deutsch bei Asmodee erschienen.
Für die Review stand uns ein kostenloses Rezensionsexemplar zur Verfügung.