Vor uns liegt ein scheinbar normales Getreidefeld, mitten in der Normandie. Wir suchen Deckung in der Baumreihe und spähen auf das offene Feld, das hüfthoch mit Weizen bedeckt ist. Laut den Befehlen müssen wir über dieses Feld zu dem kleinen Bach gehen, den wir auf der anderen Seite erblicken. Gesäumt wird er von einigen Bäumen und vielen Büschen. War da gerade eine Bewegung zu sehen? Scheinbar eine Ewigkeit warten wir hier schon, bevor wir uns langsam vorwärtsbewegen. Stück für Stück schiebt sich unser Trupp weiter und die dunkle Vorahnung, die über dem Feld lag, bewahrheitet sich in dem Moment, als aus Richtung Bach das schwere Stakkato des Maschinengewehres einsetzt.
Undaunted: Normandie ist kein Spiel für sensible Gemüter. Stell dir vor, du schlüpfst in die Rolle eines Zugführers während des Zweiten Weltkriegs, der mit knappen Ressourcen und einem konstant in Bewegung befindlichen Feind klarkommen muss. Klingt hart? Ist es auch! Aber gerade das macht den Reiz von Undaunted: Normandie aus: Es fordert, es frustriert, und es belohnt. Aber lassen wir die Marschbefehle und Feldhandbücher erst mal beiseite und schauen uns das Spiel ganz ohne Drill und Härte an. Was erwartet uns eigentlich bei einem solchen Spiel? Das erfahrt ihr in unserer Review zu Undaunted: Normandie, erschienen bei Giant Roc.
Viel Spaß beim Lesen!
Undaunted Normandie – ein Spiel mit schwerem Thema
Vorweg: Krieg ist Scheiße, aber und das zeigt auch die heutige Zeit, sind wir über diese Sache auch in unserer Gesellschaft nicht hinweg. Kann man nun um ein solches Thema ein Brettspiel bzw. Kartenspiel entwickeln? Natürlich gibt es schon lange die Welt der War Games mit entsprechenden Themen, doch seien wir mal ehrlich, auch in der Brettspiel-Blase ist dies auch scheinbar nur eine kleine Nische.
Auf der anderen Seite möchte ja auch unsere Blase, dass das Spiel als Kulturgut angesehen wird und dazu gehört eben auch, dass man sich spielerisch mit Themen beschäftigen muss, die auch nicht ganz so angenehm sind. Dass der Krieg hier eben sehr präsent ist, zeigt schon der Urvater aller Spiele, das Schach. Und selbst in der Rollenspiel-Szene gibt es das kriegerische Erbe, denn der Urvate Dungeons and Dragons basiert auf einer Schlachtensimulation.
Und ähnlich wie bei Filmen mit diesem Thema – zum Beispiel Der Soldat James Ryan oder auch ältere Filme wie Die Brücke von Remagen – bringen mich solche Themen zum Nachdenken, gerade auch durch die in diesen Filmen gezeigte Sinnlosigkeit eines Krieges. Dass dies für mich auch bei Undaunted: Normandie der Fall ist, werde ich später noch erläutern.
Undaunted – einzigartig und doch bekannt
Undaunted: Normandie ist erst einmal nur ein Kartenspiel mit Deckbuilding Mechanismus. Allerdings ist es ein Deckbuilder mit einem gewissen Kniff. Denn ich habe bei anderen Deckbuildern in der Regel eine gemeinsame Auslage, aus der ich mich bediene und meine Kartenhand verbessere. Bei Undaunted: Normandie habe ich meine ganz eigene Kartenreserve, aus der ich mich bediene und meine Hand verbessere bzw. auffülle. Thematisch macht dies auch sehr viel Sinn, da Undaunted: Normandie ein reines Zwei-Personen-Spiel ist. Einer am Tisch spielt einen Trupp der Deutschen und der andere spielt einen Trupp der US-Amerikaner. Und da kann ich als Amerikaner ja nun einmal keine deutschen Einheiten in mein Deck übernehmen oder vice versa.
Aber ein Deckbuilder alleine ist ja nicht so der Bringer, deswegen braucht es hier noch eine weitere Komponente. Und fällt sehr schnell auf, dass sich Undaunted: Normandie an den COINS – Konfliktsimulationen orientiert. Wie bei diesen bewege ich kleine Tokens über eine Landschaft. Dabei steht jeder Token für eine Einheit Soldaten. Weiterhin ist der Ausgang des Konfliktes nicht klar, denn jeder spielt seine Einheiten mit seinen Möglichkeiten aus. Da ist dann auch ein wenig Glück dabei und natürlich auch ein gewisses taktisches und strategisches Geschick vonnöten.
Die Normandie in kleinen Häppchen
Den Geschichtsbewussten unter euch ist bewusst, dass der D-Day eigentlich nur der Anfang vom Ende für das Dritte Reich war. Dass dies natürlich auch nicht an einem Tag passierte, ist dann auch klar. Und genauso erlebte ich es auch in Undaunted: Normandie. Denn der Untergang ist unausweichlich. Im beiliegenden Szenario-Heft bewegen sich die Alliierten bzw. der kleine Trupp immer weiter vor und die deutschen Truppen müssen sich immer weiter zurückziehen. Allerdings bedeutet dies spielerisch nicht, dass von vornherein schon entschieden ist, dass die deutschen Truppen verlieren bzw. der Spieler der deutschen Truppen immer verliert.
Vielmehr sind es verschiedene Schlachten, die wir bestreiten. Da kann es passieren, dass mal die Deutschen und mal die Amerikaner gewinnen. Allerdings lässt sich schon sehen, dass die Deutschen öfter in verteidigender Position sind, als es die Amerikaner sind. Letztlich entspricht dies ja auch dem geschichtlichen Hintergrund. Dazu kommen dann auch noch spielerische Komponenten, die jedes Szenario einzigartig machen. Selbst beim erneuten Spielen, wenn alles wieder auf null gesetzt wird, bleibt der Ausgang abermals offen.
Fog of War
So ist der Fog of War oder der Nebel des Krieges aus meiner Sicht wunderbar in Undaunted: Normandie eingebunden. Militärisch bedeutet dies nichts anderes, als dass ich keine hundertprozentige Entscheidung treffen kann, weil mir einfach wichtige Informationen fehlen. Spieltechnisch kann ich unter anderem schnell Land gewinnen, stopfe damit aber mein Deck mit den entsprechenden Karten zu. Diese verlangsamen mich und führen dazu, dass ich limitiert bin mit meinen Aktionen. Von denen habe ich normalerweise nur drei pro Runde.
Natürlich kann ich auch das Deck wieder entschlacken, in dem ich im Militärjargon durch Aufklärung wieder an Sicherheit gewinne. Das kostet aber Ressourcen, und ich muss mich immer wieder entscheiden, was ich mit meinen kostbaren Aktionen mache. Lieber verteidigen oder alles vorbereiten für den entscheidenden Angriff? Dieses Dilemma ist aber nicht nur bei mir zu finden, auch mein Gegenüber steckt in der gleichen Bredouille.
Um Leben und Tod
Neben dem Deckbuilding ist der Hauptmechanismus ein schlichter zehnseitiger Würfel. Mit diesem wird entschieden, ob man in einem Kampf trifft oder nicht. Hier trifft das Spiel wieder auf die harte Wirklichkeit. Jedes Mal, wenn ich die Würfel werfe, will ich damit einen feindlichen Soldaten kampfunfähig machen. Das Spiel lässt hier zwar offen, inwiefern ich kampfunfähig verstehen kann. Im Endeffekt bedeutet das eigentlich thematisch nichts anderes, als ihn zu töten.
Ja, das ist schwere Kost, weil die Konsequenz gleich greifbar ist. Ein erfolgreicher Angriff bedeutet nämlich, dass ich eine Karte aus dem Spiel nehmen muss. Und diese Karte ist eben ein Soldat und das ist auch das Besondere an Undaunted: Normandie: Eine Karte mit entsprechender Illustration des Soldaten und einem einzigartigen Namen. So muss ich nicht nur eine Karte abwerfen. Ich verliere eben Fritz Wolf oder Paul Miller und das ist hart und bringt einen zum Nachdenken.
So grausam dies auch für den ein oder anderen sein mag, ich persönlich finde diese Nähe genau passend. Denn wenn ich ehrlich bin, in diversen Spielen passiert es auch die ganze Zeit. Der Tod wird entweder verniedlicht, wie in Living Forest oder wird so stark abstrahiert, dass es keinerlei emotionale Auswirkungen hat, wenn wir riesige Schlachtenkreuzer wie in Twilight Imperium opfern. Hier bei Undaunted: Normandie haben meine Taten Auswirkungen und das auf einer Ebene, die ich selten in einem Brettspiel bzw. Kartenspiel erlebe.
Ja, die Würfel und deren Auswirkungen spielen hier nicht nur eine emotionale Rolle, es ist auch eine spielerische Komponente. Die Würfel in Undaunted: Normandie sind wie ein kleiner Schubser des Schicksals. Sie bestimmen Treffer und Fehlschüsse, fügen also ein bisschen Glück und Zufall hinzu, aber nicht in einem Ausmaß, dass die harte Planung über den Haufen geworfen wird. Der Kampf fühlt sich dadurch realistisch und spannend an – und nicht wie ein Glücksspiel. Jemanden in Deckung aus einer nahezu unmöglichen Entfernung zu treffen, ist eben ein Glücksspiel und hat weniger mit Können zu tun.
Natürlich kann es frustrierend sein, wenn ein wohlgeplanter Angriff am Würfelwurf scheitert. Aber hier steckt auch ein Lernfaktor drin: Selbst der beste Plan kann schiefgehen. Es ist wichtig, flexibel zu bleiben, ohne dabei seine Truppen zu verheizen. Nicht nur dieses Element sorgt dafür, dass sich jede Partie einzigartig anfühlt, was die Wiederspielbarkeit enorm erhöht. Dazu kommt das schon erwähnte Szenario-Heft, welches dem Spiel immer wieder neue Elemente hinzufügt und so für Abwechslung sorgt.
Leider hat Undaunted: Normandie eine gewisse Einstiegshürde. Zum einen sind da die Regeln, die etwas umständlich geschrieben sind und dann eben auch die Umsetzung der Regeln als solche. Zwar sind die natürlich alle sinnvoll, aber sie sind nicht intuitiv. Und so liegt in den ersten Runden immer wieder das Regelheft neben einem, um die Begriffe auf den Karten auch den richtigen Aktionen zuordnen zu können. Das nimmt, gerade in den ersten Partien dem Spiel ein wenig den dynamischen Spielfluss.
Ein weiterer Punkt ist, dass mit der Zeit eine gewisse Stumpfheit einsetzt. Habe ich weiter oben noch beschrieben, dass einem die Entscheidungen aufgrund der Karten und der damit einhergehenden persönlichen Nähe zu den Soldaten schwerfallen, wird dies in den weiteren Partien aufgeweicht, da wir immer die gleichen Karten zur Verfügung haben. Musste ich vielleicht in Szenario A meinen ganzen Trupp opfern, ist er in Szenario B selbstverständlich wieder da. Allerdings, kann ich hier etwas mehr orakeln, wird dies in anderen Undaunted Teilen eben nicht der Fall sein, aber dazu in einem späteren Artikel mehr.
Undaunted: Normandie ist ernst
Ein Spiel über den Zweiten Weltkrieg ist ein heikles Thema, keine Frage. Aber Undaunted: Normandie schafft es aus meiner Sicht, sich auf die taktische und strategische Ebene zu konzentrieren, ohne das Leid und den Schrecken des Krieges auszuschlachten oder auch so sehr auszublenden, dass es einen doch nicht beschäftigt. Die Designer Trevor Benjamin und David Thompson haben sich darauf konzentriert, ein fesselndes Spielerlebnis zu schaffen, ohne dabei die ernste Thematik zu vernachlässigen. Die Karten und das Spielmaterial sind dezent gehalten, die Atmosphäre bleibt ernst, aber niemals bedrückend. Man fühlt sich nicht wie ein „Held im Krieg“, sondern eher wie jemand, der versucht, seine Einheit so sicher und erfolgreich wie möglich durch eine unberechenbare Situation zu führen.
Das macht Undaunted: Normandie auch für Spieler interessant, die sich vielleicht normalerweise von Kriegsspielen eher fernhalten würden. Es bietet eine Mischung aus historischem Bezug und strategischer Tiefe, ohne dabei heroisch oder glorifizierend zu wirken. Aber eine gewisse Offenheit für das Thema des Zweiten Weltkriegs muss bestehen. Da gibt es dann doch einige Spielende, die mit dem Spiel zwar auf seiner mechanischen Regelbasis zurechtkommen, aber nicht mit dem Thema.
Ist Undaunted: Normandie ein Spiel für jedermann? Kommt wie zuvor erwähnt auf das Thema an. Spielerisch lässt sich das Thema ja recht schnell und praktikabel transferieren und damit spielbarer für andere Spieler und Spielerinnen machen. So geschehen mit Undaunted 2200: Callisto, auf das ich in einem späteren Artikel eingehen werde. Leider, und so viel sei hier schon einmal vorweggenommen, büßt das Spiel hierbei aber einen wichtigen Teil ein. Das ist das Auseinandersetzen mit dem Thema. In Callisto werden die Einheiten schon wieder abstrahierter dargestellt. So sind sie nicht mehr so greifbar wie im Original, und damit wird auch der moralische Finger eher gesenkt als gehoben.
Für mich ist Undaunted: Normandie ein gelungenes Spiel mit einzigartigen Mechanismen. Und nicht nur das, ich würde sogar behaupten, Undaunted: Normandie ist aus meiner Sicht das erste Anti-Kriegs-Spiel, das ich bis jetzt gespielt habe. Dass diese Anti-Kriegs-Einstellung sogar noch weitergeht, kann man in den nachfolgenden Titeln noch einmal genauer verfolgen, die dann auch hier auf dem Blog zu finden sein werden.
Euer Rating zu Undaunted: Normandie
Undaunted: Normandie ist bei Giant Roc erschienen.
Für die Review stand uns ein kostenloses Exemplar zur Verfügung.