Jetzt wird es aber Zeit. Die heute morgen noch frischen Früchte müssen so schnell wie möglich zum Palast gebracht werden. Doch das bedeutet, ich muss noch durch die gesamte Altstadt, vorbei an meiner geliebten Teestube. Da kann ich natürlich noch einen Halt machen und neben einem Tee auch ein kleines Glücksspiel wagen. Ach ja und nach dem kleinen Stopp in der Teestube, kann ich auch gleich noch beim Postamt vorbeischauen. Die Früchte werden das schon aushalten oder doch nicht? Ach was soll’s, ich schick einfach meinen Gehilfen los, soll der Taugenichts doch den Karren zum Palast bringen. So kann ich in der Zwischenzeit auf dem Markt vielleicht noch das eine oder andere Schnäppchen machen – hier in Istanbul.
Istanbul die vielfältige Stadt am Bosporus
Ich muss gestehen, ich war noch nie in Istanbul. Ich kenne die Stadt nur aus dem Fernsehen oder aus Erzählungen. Doch egal wen ich frage, Istanbul wird immer als vielfältige Stadt beschrieben. Und genauso ist es auch bei dem Brettspiel bzw. den Spielen. Denn das eigentliche Istanbul Brettspiel hat nicht nur zwei Erweiterungen Mokka & Bakschisch und Brief & Siegel spendiert bekommen, sondern aus dem Brettspiel ist auch Istanbul – Das Würfelspiel und eine App hervorgegangen. Es muss also etwas dran sein an diesem Spiel, dass immerhin 2014 zum Kennerspiel des Jahres gewählt wurde.
Doch fangen wir ganz simpel beim eigentlichen Brettspiel an.
Ich arbeite nicht, ich lasse arbeiten
In Istanbul geht es darum, der angesehenste Händler zu werden. Und wie definiert man einen angesehenen Händler? Es ist immer der, der die meisten Rubine in seiner Laufbahn gesammelt hat. Je nachdem wie viele Spieler teilnehmen, sind es sechs (2 Spieler) oder fünf Rubine. Wer die als erstes zusammenbekommt, kann sich getrost in den Ruhestand zurückziehen und das Leben genießen.
Und wie kommt der Händler von damals an Rubine? Dazu muss er handeln, handeln und handeln. Das tut ihr aber nicht alleine, das machen für euch eure Gehilfen. Sobald ihr dran seid, bewegt ihr euren Händler bis zu zwei Felder weit über das Spielfeld, welches aus einem 4 x 4 großen Raster mit 16 unterschiedlichen Orten besteht. Dabei bewegt ihr euch in vertikaler oder horizontaler Richtung mit euren Gehilfen von Ort zu Ort. Kommt ihr an einem Ort an, habt ihr genau zwei Möglichkeiten, ihr setzt einen eurer anfänglich vier Gefährten ab oder ihr nehmt einen zuvor schon abgelegten Gefährten wieder auf. In beiden Fällen könnt ihr danach die Ortsaktion ausführen.
Und mehr ist es eigentlich auch nicht, die Regeln sind also recht simpel.
Der Teufel liegt im Detail
Die wahre Herausforderung liegt hier eindeutig in dem Planen der Züge. Wann geh ich mit meinem Händler wohin? Ich bekomme zum Beispiel Rubine für Bestellungen aus dem Palast. Der Sultan möchte aber nicht irgendwas haben, sondern er möchte bestimmte Waren bekommen. Diese müsst ihr eben erst einmal zusammen sammeln, bevor ihr die Bestellung erfüllen könnt. Und so wird erst einmal fleißig gesammelt, natürlich immer unter Ausnutzung der besten Route. Istanbul ist eines dieser Spiele, die schnell erlernbar sind, aber schwer zu meistern.
Denn es gibt ja auch noch so etwas dummes wie Mitspieler und diese wollen natürlich auch ihre Rubine verdienen. Und endet euer Zug auf einem Ort an dem sich schon ein anderer Kaufmann befindet, will der Lümmel doch glatt zwei Lira (die Währung des Spieles) haben, nur damit ihr auch die Aktion des Ortes nutzen könnt. Natürlich müsst ihr nicht zahlen, könnt dann aber auch nicht die Aktion nutzen.
Eine schöne Interaktion unter den Spielern, die euch jede Runde dazu bringt, euren Zug zu überdenken und gegebenenfalls euren Zug anzupassen. Und das macht mir persönlich viel Spaß.
Ähnlich wie Rajas of the Ganges ist Istanbul ein Wettlauf. Wer schneller an die Waren kommt, kommt eben schneller an Rubine und gewinnt das Spiel. Das geht dann auch recht fix und ist eine angenehme Abwechslung.
Nachteil für Erstspieler
Aber wie bei vielen Spielen mit Wettlauf-Mechanismus, entfaltet das Spiel sein wahres Potential erst, wenn ihr es ein paar Mal gespielt habt. Genau hier hab ich bis jetzt immer Probleme gehabt. Wenn ich das Spiel erklärt habe, hab ich fünf Minuten für die Aktionen gebraucht, bevor die langwierige Erklärung der Orte stattgefunden hat. Denn gerade Neulinge müssen ja wissen, wie die Ikonografie funktioniert und was jeder Ort eigentlich macht. Und das kann bei 16 Orten schon ein bisschen dauern.
Selbst nach einer ausgiebigen Erklärung tun sich neue Spieler auch schwerer, wenn sie eben gegen jemanden spielen, der die Orte kennt und weiß, wie er welchen Rubin am besten holt. So kann es schnell zu Frustration kommen.
Und wie kann man Frustration bekämpfen? Durch ein Glückselement wie Würfel! Damit hätten ja alle Spieler die gleichen Chancen, egal ob alter Hase oder Neuling! Istanbul hat dafür natürlich auch eine Lösung:
Weg mit dem Karren her mit den Würfeln
Istanbul – Das Würfelspiel reiht sich in die Spiele ein, die adaptiert aus ihren großen und erfolgreichen Brüdern entwickelt wurden. Istanbul – Das Würfelspiel nimmt also Grundprinzipien des Kennerspieles auf und macht daraus ein verständlicheres Familienspiel bzw. Glücksspiel. Einiges ist natürlich vertraut, sei es die Optik des Spieles, der Grundmechanismus Waren in Rubine zu verwandeln oder eben der prinzipielle Wettlauf-Charakter.
Doch wo bekannte Sachen im Spiel belassen wurden, wurden Andere gestrichen. Die Orte gibt es nicht mehr. Kein Zwang mehr, den optimalsten Weg zu finden. Der Karren war wahrscheinlich zu laut und musste auch gehen. Konntet ihr bei Istanbul nur eine begrenzte Anzahl an Waren lagern und musstet so auch platztechnisch gut wirtschaften können, entfällt dieses Element beim Würfelspiel komplett. Ihr könnt so viele Waren lagern wie ihr wollt.
Denn sobald ihr dran seid, werft ihr eure fünf Würfel und wandelt die erzielten Würfelergebnisse in die entsprechenden Waren-Plättchen um oder in Lira, Kristalle, Karten. Irgendwas geht immer, ob euch das irgendwie weiterhilft hängt von den Würfeln ab. Auf das Ergebnis könnt ihr nur bedingt Einfluss nehmen. Habt ihr einen Kristall, könnt ihr diesen dazu verwenden, beliebige Würfel erneut zu werfen. Aber auch da braucht es wieder Glück, damit das richtige Ergebnis zum Vorschein kommt.
Weg mit der Downtime
Eins macht Istanbul – Das Würfelspiel richtig: Es reduziert die Downtime des großen Bruders immens. Zack, Würfel geworfen, Warenplättchen oder Lira genommen und der Nächste ist dran. Kein langes Überlegen mehr wenn ihr am Zug seid, sich einfach nur auf die Würfel verlassen.
Aber genau hier störe ich mich eben auch am Würfelspiel. Das was Istanbul für mich ausgemacht hat, ist alles über Bord geflogen. Und so ist es nur ein weiteres Würfelspiel geworden, bei dem der gewinnt, der mehr Glück hat. Wer am Anfang die besseren Würfe, kann sich Boni holen, die ihn uneinholbar werden lassen und während ich bei Istanbul mit Gleichgesinnten immer ein spannendes Rennen habe, ist dies bei Istanbul – Das Würfelspiel nicht der Fall. Zeichnet sich hier früh ein Vorsprung für einen Spieler ab, braucht dieser schon verdammt schlechte Würfe, um den wieder zu verspielen. Bis jetzt ist dieser Fall bei uns noch nie eingetreten, einmal die Führung gehabt, hat der Spieler immer gewonnen.
Istanbul – Das Würfelspiel hat einfach keine Langzeit-Begeisterung. Es ist nach der SPIEL 17 ein paar Mal auf dem Tisch gelandet und verstaubt seitdem im Regal. Da hilft es auch nichts, dass eine Partie innerhalb von 15 Minuten runtergespielt ist. Würfeln und umwandeln mehr ist es leider nicht. Es fehlt dem Würfelspiel einfach die strategische Tiefe. Das es diese auch bei anderen Familien-Würfelspielen gibt, zeigt zum Beispiel Harvest Dice, Kribbeln oder auch Würfelland.
Hier ist es bei uns so: Wollen wir ein schnelles Wettrennspiel holen wir lieber die Rajas raus, die sind zu zweit auch innerhalb von 20 Minuten gespielt und wollen wir etwas mehr Grübeln, dann greifen wir eher zum großen Bruder.
Aber was mach ich, wenn ich Lust auf Istanbul hab, aber keinen Mitspieler zur Hand habe? Denn es ist ein großes Problem, dass alle Istanbul Spiele keinen Solomodus haben.
Istanbul in der digitalen Zukunft
Aus Sicht eines Informatikers, der ich ja nun einmal bin, sind Brettspiele etwas Fantastisches. Klar definierte Regeln beschreiben das Spiel (Programm) perfekt. Eigentlich ist es recht simpel ein analoges Spiel in seine digitale Form zu gießen. Wenn man sich denn nur auf die reinen Regeln beschränkt. Doch leider wollen die Leute ja noch bunt und in Farbe in ihren Programmen haben. Und das Spielgefühl soll ja auch durch verschiedene künstliche Gegenspieler simuliert werden. Und schon wird es nicht mehr ganz so einfach, ein analoges Spiel in seine digitale Form zu heben. Aber wenn es schon komplexere Spiele wie Terra Mystica als App gibt, warum dann also nicht auch Istanbul?
Doch genau das ist mittlerweile passiert. Der polnische Entwickler Acram hat sich die Lizenz von Pegasus geschnappt und Istanbul digitalisiert.
Meine Erfahrungen des Spieles beziehen sich nur auf die Android-Version, wobei diese identisch sein sollte mit der iOS-Version.
Erst einmal ändert sich überhaupt nichts. In bewährter Manier marschiert ihr durch Istanbul und tauscht Waren. Dabei setzt ihr eure Gehilfen ein und versucht als Erster, die begehrten Rubine zu bekommen. Für jemanden der das Spiel kennt, kommt jetzt nichts Neues dazu. Und wer nicht dazu gehört, kann sich entweder die Anleitung durchlesen, wobei das auf einem kleinen Smartphone-Bildschirm natürlich nicht der große Bringer ist oder ihr spielt einfach das Tutorial. Hier wird dem Istanbul Neuling erklärt, wie das Spiel funktioniert. Aber auch die alten Hasen sollten das Tutorial spielen. Zum Einen könnt ihr Errungenschaften sammeln, während ihr spielt und das Tutorial spielen ist eine davon. Zum Anderen wird euch eben erklärt, wie das Spiel auf dem Tablet/ Smartphone bedient wird.
Auf ins bunte Leben
Habt ihr also das Tutorial hinter euch gebracht, könnt ihr euch ohne Probleme in die laute Basarwelt stürzen. Dabei stehen euch verschiedene Spielmodi zur Verfügung, ihr könnt natürlich Online gegen andere Mitspieler spielen und das entweder in Echtzeit oder mittels Zug Mechanismus nacheinander. Oder aber auf nur einem Gerät mittels Play and Pass Modus, in meiner Jugend nannten wir sowas Hot Seat Mode, aber die Zeiten ändern sich eben.
Aber egal in welchem Modus ihr spielt, das Istanbul Grundgefühl bleibt gleich. Jedoch mit ein paar interessanten Änderungen, die das Spielgefühl positiv beeinflussen. So werden euch, wenn ihr mit eurem Zug dran seid, die Plätze hervorgehoben zu denen ihr reisen könnt. Klar, so was geht natürlich nur mit digitaler Unterstützung. Die andere Änderung ist die erfreulich kurze Downtime eurer Gegner, wenn ihr denn gegen die die KI spielt. Kaum habt ihr euren Zug gemacht, seid ihr auch schon wieder dran. So schnell, dass Istanbul durch diesen Umstand in knapp 20 Minuten gespielt ist.
Dein Freund die KI
Die größte Downtime fällt nun einmal bei euch an. Denn ihr müsst ja gründlich nachdenken. Gott sei dank beschweren sich die KI Gegner nicht über die Downtime, die ihr verursacht.
Dabei ist der Schwierigkeitsgrad der KI durchaus fordernd. Mit insgesamt drei verschiedenen KI Stufen könnt ihr euch messen. Von einfach über mittel bis schwer. Wenn ich das mit meinen gespielten Partien vergleiche, muss ich zu geben, dass schon der einfache Schwierigkeitsgrad, durchaus herausfordern sein kann. Klar, die KI verzeiht hier vielleicht einmal den einen oder anderen Lauffehler, den ihr macht, aber im Großen und Ganzen ist es eher so, dass ihr öfter gewinnt als die KI. Bei höheren Stufen ist es aber so, dass das Gewinnen sich in wirkliche Arbeit verwandelt. Da gewinnt ihr nicht mehr einfach so im Vorbeigehen.
Dabei habe ich festgestellt, dass die KI öfter gewinnt, wenn ihr in dem Setting Kurze Wege oder Lange Wege spielt. Also der Spielplan nach einem bestimmten Muster aufgebaut ist. Wählt ihr allerdings den zufälligen Aufbau, tut sich die KI schwer und ihr gewinnt einfach öfter.
Das Spielgefühl
Ich muss sagen, ich hatte schon länger kein Istanbul mehr gespielt. Doch als ich die erste Partie auf der App bestritten hatte, war die Faszination gleich wieder da. Und ich konnte erst einmal das Smartphone nicht aus der Hand legen. Wobei die Darstellung auf meinem 5,5 Zoll Display für meinen Geschmack grenzwertig ist. Kleiner sollte das Display eures Smartphones meiner Meinung nach nicht sein. Auch die Gegenprobe mit dem 7 Zoll großen Tablet zeigte, es spielte sich mit größeren Displays einfach angenehmer.
Leider gibt es in der App noch kleinere Fehler, was die Texte angeht. Hier müsste Acram noch einmal drüber schauen. Das ist kein großes Problem, man kann so etwas ja mit einem Update schnell beheben. Aber es könnte eben für Neulinge irritierend sein. Auch mich hat es gewundert, warum ich beim Schmuggler nach dem Deal auf den Button „Ablehnen“ drücken soll. Auf englisch ist es wiederum richtig, hier wird der Button mit „Discard“ beschriftet. – Ja vielleicht bin ich da pingelig, aber ich bin nun einmal Software-Entwickler, da fallen mir offensichtliche Fehler in einem Programm eben sofort auf.
Update: Mittlerweile hat der Entwickler ein Update nachgeschoben, bei dem die erwähnten Punkte behoben wurden. Wie ich ja sagte, das sollte kein großes Problem sein.
Positiv zu erwähnen ist, dass es einen Modus für Farbenblinde gibt. Wenn ihr diesen Modus wählt, werden neben den Farben auch Symbole neben den Spielsteinen abgebildet. Im Prinzip sehr gut, doch hier spielt ein größeres Display seine Stärken aus, denn die Symbole sind schon arg klein.
Acram ist eine gelungene digitale Alternative zum analogen Istanbul Brettspiel geschaffen. Und wenn ich in Zukunft weder Mitspieler noch das Brettspiel zur Hand habe, werde ich auf alle Fälle immer wieder zur App greifen. Immerhin gibt es ja noch einige Errungenschaften, die freigeschaltet werden möchten.
Istanbul und Istanbul Das Würfelspiel sind bei Pegasus erschienen.
Die App Istanbul ist für iOS und Android erschienen.
Vielen Dank an Pegasus für die Bereitstellung der App.