Kolibri stand in den Schatten. Den Hut dabei tief ins Gesicht gezogen, gerade so weit, dass sie noch die Umgebung wahrnehmen konnte. Sie wartete jetzt schon seit geraumer Zeit auf ihren Kontakt. Und langsam wurde sie ungeduldig. Es war nicht die Art ihres Kontaktes, dass dieser sie so lange warten ließ. Über eine halbe Stunde war jetzt schon vergangen. Kolibri musste eine Entscheidung treffen. Jetzt aufhören und wieder zurück ins sichere Versteck oder noch weiter warten und vielleicht erwischt werden.
Da, eine verschwommene Bewegung gerade noch so sichtbar am Rande des Sichtfeldes. Vielleicht war es nur eine Katze, vielleicht aber auch nicht. Ihre Hand wanderte langsam in Richtung Jackentasche. Dort spürte sie die Kälte der unscheinbaren Pistole, als sie diese umklammerte. Da war sie wieder, die Bewegung. Keine Frage, sie war aufgeflogen, nun hieß es also, sich in Sicherheit bringen. Die Informationen, die sie hatte, mussten unbedingt an ihre Vorgesetzten geschickt werden. Mit quietschenden Reifen raste ein alter Van heran. Kolibri zog die entsicherte Waffe und wollte schon auf den Fahrer schießen. Im letzten Augenblick erkannte sie ihren alten Freund Benjamin Harrison wieder. Als die Seitentür aufgerissen wurde, wusste sie, dass sie in diesen Van gelangen musste, dies war ihre einzige Chance noch lebend aus dieser Sache herauszukommen.
Wenn man von Brettspielen mit Legacy Elementen spricht, dann gibt es ein Spiel, von dem jeder schon einmal was gehört hat. Pandemic Legacy Season 1 hat im Jahre 2015 das Legacy-Element einer breiten Spielerschaft vorgestellt. Man spielte eine komplette Kampagne durch. Zwischen 12 und 24 Partien waren es am Ende, die man dann hinter sich hatte. Und jede Gruppe, die es spielte, hatte eine andere Geschichte zu erzählen. Jetzt, fünf Jahre später, kommt mit Pandemic Legacy Season 0 das große Finale. Wie sich das Spiel dabei geschlagen hat, welche Entwicklungen es gab, erfahrt ihr in meiner Review zu diesem Spiel. Natürlich werdet ihr nicht gespoilert.
Viel Spaß beim Lesen!
Der Anfang vom Ende
Es war für mich natürlich schon lange klar: Sobald die dritte eigenständige Erweiterung zu Pandemic Legacy erscheint, wird diese auch gespielt werden müssen. Dass es eine Erweiterung geben wird, war schon relativ früh klar. Die beiden Designer Matt Leacock und Rob Daviau hatten schon früh bekannt gegeben, dass es drei Brettspiele zu Pandemic Legacy geben wird. Somit lag die eigentliche Überraschung im Thema. Denn spielte Season 1 noch in der Gegenwart und Season 2 in der Zukunft, hatte man sich beim dritten Ableger also entschieden, das Setting in die Vergangenheit zu legen. So wurde es eben keine Season 3, sondern eine Season 0, die zum Höhepunkt des Kalten Krieges spielt und wir sind als Agenten mittendrin. Denn das Virus aus den vorangegangenen Spielen hat diesmal keinen großen Auftritt.
Trotzdem bleibt die grundlegende Mechanik erhalten. Nur sind es eben diesmal keine verschiedenen Viren, die ihr in Schach halten müsst, sondern es sind feindliche Agenten. Und wie auch in den Vorgängern, müssen wir deren Anzahl unter Kontrolle halten. Soll in eine Stadt ein vierter Agent eingesetzt werden, dann kommt es zu einem Zwischenfall bzw. für alte Pandemie-Hasen einem Ausbruch. Und wenn dann in den angrenzenden Stätten auch wieder drei Agenten stehen, geht das Spielchen weiter.
Also, nach wie vor, nichts Neues. Das gilt auch dafür, wie ihr euch über den Spielplan bewegt und viele Aktionen in dem Spiel steuert. Ihr wollt euch von A nach B bewegen? Dann müsst ihr die passende Karte ausspielen. Möchtet ihr ein Geheimversteck in einer anderen Stadt aufbauen? Auch hier braucht es wieder die richtige Karte! Ihr wollt ein Heilmittel finden bzw. in Season 0 ein Agenten-Einsatzteam bilden? Ihr ahnt es schon, auch hier braucht es wieder Karten. Alles bekannte Mechanismen, die auch dafür sorgen, dass ich schnell in das Spiel komme.
Wir sind Agenten!
Weil die Grundmechaniken eh bekannt sind, will ich mich jetzt eher dem Neuen widmen! Und das ist einfach mal das Thema. Wir sind keine Mediziner des CDC mehr, sondern wir sind Agenten der CIA und genauso wie in den Serien, mit denen ich aufgewachsen bin, müssen wir die bösen Kommunisten aka die Sowjets in Schach halten. Und das fängt schon gleich sehr individuell an. Denn jeder Mitspieler bekommt einen Pass in die Hand gedrückt und darf diesen nun anpassen. Dazu liegen dem Spiel Aufkleber mit Gesichtern, Haaren und anderen Merkmalen bei. Dann muss ich meinem Agenten natürlich noch einen Namen geben und schon geht es los. Ich bin endlich einer der strahlenden Helden aus „Kobra, Übernehmen Sie“ oder „Solo für O.N.C.E.L.“
Doch ich bin nicht alleine unterwegs: Wir sitzen wieder zu viert am Tisch. Und es ist die gleiche Gruppe, die auch schon in Season 1 und Season 2 die Welt gerettet hat. Das sollte also auch diesmal ein Leichtes für uns sein. Einmal also den Prolog spielen, damit die neuen Regeln auch unseren Mitspielern beigebracht werden konnten und schon begannen wir im Januar, die Welt erneut zu retten.
Eine Stunde später und der Januar war geschafft. Keine Frage, danach ging es natürlich weiter. Also auch noch schnell den Februar hinterher geschoben und… Tja, und dann war erst einmal Schluss. Irgendwie ging es nicht weiter. Irgendwas war anders, denn den Februar hatten wir nicht geschafft, nur einen der zwei Aufträge konnten wir abschließen. Also setzten wir das Spiel zurück und wollten in gewohnter Manier, den Monat noch einmal spielen. Doch wie schon erwähnt etwas stimmte nicht, die Story machte keinen Sinn. Also schnell noch einmal die letzten Story-Karten durchgeschaut, aber es blieb dabei, die Story passte einfach nicht.
Die kleinen Änderungen in Pandemic Legacy Season 0
Der Fehler lag auch hier wieder im Detail. Eine kleine aber feine Änderung der Mechanik, die wir einfach übersehen hatten, machte uns den Übergang von Februar zum März so schwierig. Denn im neusten Teil der Pandemic Legacy Reihe müsst ihr nicht mehr alle Aufträge erfüllen. Sondern je nach Monat reicht es einen bestimmten Grenzwert zu erreichen. Und diesen hatten wir mit einem Auftrag erreicht und konnten so in den nächsten Monat starten. Was dann auch die Story entsprechend weiterbrachte und für uns logisch machte. Diese kleine Änderung machte auch in den weiteren Partien das Spiel sehr fluffig und auch einfacher. Ihr wisst ja, in Pandemic ist das Ziehen der richtigen Karten ein essenzieller Bestandteil. So manche Partie haben wir schon verloren, weil die richtige und wichtige Karte einfach nicht kam.
Nun können wir uns also selbst aussuchen, welchen Auftrag wir erfüllen wollen und welchen wir erst einmal hinten anstellen. Wir sind nicht mehr gezwungen, auf bestimmte Karten zu warten, sondern können uns ganz in bewährter Spionage-Taktik erst einmal in Stellung bringen.
Doch dies ist natürlich nicht die einzige Änderung. Neben vielen kleineren Änderungen, die den Spielablauf flüssiger machen und im Laufe des Spieles eingeführt werden, gibt es noch eine große Änderung, auf die ich gerne noch einmal genauer eingehen möchte.
Jeder Pandemic-Spieler kennt ihn und jeder möchte ihn spielen, weil dieser Charakter der coolste ist. Die Rede ist natürlich vom Sanitäter. In den vorherigen Teilen, war es dieser Charakter, der in die Virenhochburgen spaziert ist und mit minimalen Mitteln gleich eine ganze Stadt von ihren Viren befreit hatte. Ein moderner Held eben. Den möchte natürlich jeder spielen. Nicht so in Pandemic Legacy Season 0. Denn hier gibt es diesen Charakter einfach nicht mehr. Stattdessen gibt es Einsatzteams, die genau das machen, was auch der Sanitäter machte. Schnell mal in einer Stadt alle feindlichen Viren ähem Agenten ausschalten, kein Problem und dazu muss nicht einmal eine Aktion ausgegeben werden, denn die Jungs und Mädels in ihren schwarzen Vans machen das ganz von alleine.
Das vielleicht beste Pandemic Legacy ?
Keine Frage, für mich ist Pandemic Legacy Season 0 das beste Spiel aus der Reihe. Natürlich liegt dies nicht nur am Spiel selber, sondern an der ganzen Reihe. Was für unsere Gruppe an meinem Geburtstag mit einem Pandemic Legacy Season 1 begann, Jahre später mit einem Season 2 weiterging, endete dann eben auch wohlverdient mit einem Season 0. Und weil es ebendiesen wunderschönen Abschluss dieser gesamten Reihe und Reise bildete, mit all seinen kleinen Verweisen auf die schon gespielte Teile, wird es immer einen besonderen Platz in meinen Erinnerungen haben. Auch wenn das Spiel selbst ein paar kleine Macken und Ermüdungserscheinungen hat.
So ist es in Kampagne drei nichts Besonderes mehr, wenn ich eine Karte zerstören soll. Daran haben wir uns mittlerweile in unserem Hobby schon gewöhnt. Es ist für uns auch nichts Aufregendes mehr, irgendwo ein Feld aufzurubbeln. Wenn ihr die Vorgänger gespielt habt, wird es keine großen Wow-Momente mehr geben. Irgendwie hat man dann schon alles irgendwann mal gesehen oder gemacht. Auch wird sich die Welt nicht großartig verändern, denn es ist immerhin nur ein Prequel. So viel sei gespoilert, es werden natürlich keine Städte untergehen können, da ihr sie ja für Season 1 ein paar Jahre später im Zeitstrahl noch braucht. So wirkt die Welt eben auch etwas statischer.
Dadurch sind die Entscheidungen aber auch nicht mehr so drastisch. Während ihr in den Vorgängern durchaus die eine oder andere schwere emotionale Entscheidung treffen musstet, ist in Season 0 alles etwas distanzierter. Im schlimmsten Fall ist eine Stadt eben unter ständiger Überwachung durch die feindlichen Agenten, das heißt aber nicht gleich, dass diese Stadt verloren oder unpassierbar geworden ist. Es gab diesmal keine hitzigen Diskussionen am Spieltisch, sondern wir spielten es einfach nur so durch.
Schnell mal ne Partie
Denn auch der gesamte Schwierigkeitslevel ist aus meiner Sicht viel einfacher geworden, als in den letzten beiden Teilen. Nur zweimal sind wir in der gesamten Kampagne an einem Monat gescheitert und das waren dann auch die Monate, wo es schon am Anfang klar war. Die Karten in unseren Händen waren nicht gut und die „Anfangsinfektion“ bzw. Anfangsbedrohung war auch so zersplittert auf dem Spielbrett, dass uns als Pandmic-Veteranen klar war, das wird nix. Dem gegenüber standen aber eben die gefühlt leichteren Monate, wo es eine besondere Schwelle gab: Sobald wir das erste Einsatzteam aus dem Boden gestampft hatten, lief es einfach flüssig und die Bedrohungslage hatten wir meistens unter Kontrolle.
Warum meistens? Weil so rund Pandemic Legacy Season 0 auch ist bzw. so gereift es ist, gibt es doch ein Element das nicht in das Spiel passt. Und das ist der Augenblick, in dem es zu einem Ausbruch kommt. Denn neben der Verbreitung der feindlichen Agenten in den benachbarten Städten, wird auch jedes Mal verdeckt eine Karte gezogen, die noch einmal eine zusätzliche Wendung ins Spiel bringen soll, ähnlich wie in einem Agenten-Spielfilm in dem dann noch ein unvorhergesehener Twist präsentiert wird. Allerdings ist dieser Effekt so willkürlich, dass er bei uns in den seltensten Fällen das Spiel beeinflusst hat. So sollt ihr zum Beispiel: „…einen Spion… platzieren in jeder Stadt in Südamerika mit mindestens einem Vorfallmarker“, dieser Vorfall ist sehr oft bei uns passiert, allerdings verpuffte er auch sehr schnell, weil es auf dem entsprechenden Kontinent keinen solchen Marker gab.
Andere Vorfälle wie das Entfernen eines Unterschlupfs, das Äquivalent zu einem Labor, hätte uns da schon mehr weh getan, aber entweder wurde es nicht gezogen oder auch hier war die Bedingung einfach nicht erfüllt. Und so fühlte sich der spieltechnische Mechanismus für uns nicht wirklich passend an, da er so selten ausgelöst wurde.
Pandemic Legacy Dossier geschlossen
Wie ich schon sagte, es war die Reise, die für mich in Erinnerung blieb und die für mich den wahren Reiz ausmachte. Aber so positiv die Erfahrung für mich und unsere Gruppe auch war, so sieht es, bedingt durch den Legacy Charakter, in anderen Gruppen anders aus. Ich kenne Gruppe, die es nicht geschafft haben, über Season 1 hinauszukommen. Oder es gibt auch die Gruppen, die durch den hohen Schwierigkeitsgrad in Season 2 kein weiteres Pandemic Legacy mehr spielen werden. Und dann gibt es noch die Spieler, die das Spiel wegen seiner Thematik ablehnen, weil hier ja offensichtlich das klassische US-Feindbild aus dem Kalten Krieg genutzt wird.
Dies ist natürlich alles Schade, denn Pandemic Legacy Season 0 macht ebenso viel richtig und man merkt auch, wie es aus den Fehlern seiner Vorgänger gelernt hat. Womit es für mich persönlich, auch wegen des Themas, das beste Spiel aus der Reihe ist. Es ist noch nicht das ultimative Legacy-Spiel, dazu hat es doch noch die ein oder andere design-technische Macke und die Story ist auch eher etwas flacher ausgefallen, aber es ist eben kurz davor. Und so sehe ich mit einem weinenden Auge zurück auf die Partien, denn in absehbarer Zeit werden wir mit unserer Gruppe kein weiteres Mal die Welt retten und diese Zeit vermisse ich schon jetzt.
Euer Rating zu Pandemic Legacy Season 0
Pandemic Legacy Season 0 ist auf Deutsch bei Asmodee erschienen.
Für die Review stand uns ein Rezensionsexemplar von Asmodee Deutschland zur Verfügung.