Die Luft ist dick und feucht. Überall riecht es nach frischem Wald. Der Herbst hat den Mischwald im Griff. Vom Wegesrand aus kann ich Pilze sehen. Ein paar Pfifferlinge sind erkennbar, aber auch der ein oder andere Steinpilz. Plötzlich halte ich inne, aus den Augenwinkeln kann ich im Unterholz eine Bewegung wahrnehmen. Ich bleibe absolut still, halte sogar den Atem an. Langsam bewegt sich ein Reh durch das Unterholz. Oder ist es ein Hirsch? Ich bin mir da immer unsicher, was denn eigentlich der Unterschied zwischen den einzelnen Tieren ist. Aber solche Gedanken kann ich erst einmal aufschieben und mich im warmen Heime noch einmal in Wikipedia schlaumachen. Jetzt genieße ich einfach die Natur mit all ihren Gerüchen und der gesamten Flora und Faune im pfälzischen Mischwald.
Okay, es ist mittlerweile kein Trend mehr: Brettspiele mit Naturthema. Flügelschlag hat damit erfolgreich eine Bresche geschlagen und unzählige Brettspiele folgten ebenfalls diesem Konzept. Mischwald vom Autor Kosch schlägt in die gleiche Kerbe. Erschienen ist Mischwald beim Lookout Verlag. Wichtig für ein Brettspiel mit Naturthema sind natürlich auch die Illustrationen. Verantwortlich dafür ist Toni Llobet, ein bekannter Künstler, der hauptsächlich Tierillustrationen zeichnet. Auch wenn das Konzept der Natur-Brettspiele nicht ganz neu ist, hat Mischwald dann doch noch den ein oder anderen spielerischen Kniff. Ob das reicht, um sich gegen die anderen Mitbewerber zu behaupten? Das erfahrt ihr in unserer Review zu Mischwald.
Viel Spaß beim Lesen!
Unterwegs im Mischwald
Okay, erst einmal kommt der Bildungsauftrag. Hirsche bezeichnet die Familie der Säugetiere. Innerhalb dieser Familie gibt es dann die in Deutschland bekannten Rehe, den Rothirsch und den Damhirsch. Bezeichnen wir also irgendwas mit Geweih als Hirsch, liegen wir damit schon irgendwie richtig. Allerdings umfasst das genauso den Elch wie auch das Ren. Deswegen könnte auch das beliebte Hirschgulasch aus mehr als 80 unterschiedlichen Hirscharten bestehen. Warum jetzt dieser Exkurs? Hab’ ich ja in der Einleitung geschrieben. 😉
Im Kartenspiel Mischwald treffen wir im Speziellen auf das Reh, den Rothirsch und den Damhirsch. Aber dazu später mehr. Das sind aber nicht die einzigen Tiere, die uns auf den Karten begegnen. Im Endeffekt ist es die gesamte Flora, Fauna und Pilze, die hier in Mitteleuropa anzutreffen ist. All das Getier und Gebüsch, was euch in Mischwald präsentiert wird, solltet ihr in Heimatkunde oder Naturkunde kennengelernt haben.
Karte um Karte
Doch was mach’ ich eigentlich in Mischwald? Letztlich spiele ich Karten aus und versuche damit zu punkten. So einfach das jetzt klingt, so einfach ist es auch. Bin ich am Zug habe ich zwei Möglichkeiten, entweder ich ziehe zwei Karten nach oder ich spiele eine Karte aus. Dabei gibt es einen allgemeinen Kartenstapel, von dem ich meine Karten nachziehen kann. Dabei muss ich das Handkartenlimit von zehn beachten.
Habe ich dieses erreicht, muss ich auf alle Fälle die zweite Aktion ausführen – eine Karte ausspielen. Das Ausspielen gestaltet sich auch recht einfach. Die Karten haben unterschiedliche Kosten von null bis drei. Ich bezahle mit anderen Karten. Farben und Symbole, die sich auf den Karten befinden, spielen beim Bezahlen erst einmal keine große Rolle. Ich kann bezahlen, wie ich will.
Allerdings lauert hier schon der erste kleine spielerische Kniff. Denn einige Karten erlauben mir, einen Bonus zu erhalten. Ich kann unter anderem eine weitere Karte nachziehen oder ich habe gleich noch einen weiteren Zug. Dies aktiviere ich, in dem ich die Kosten einer Karte mit der im Bonus geforderten Farbe bezahle. Wer jetzt hier brachiale Kettenzüge erwartet, dem sei gesagt, dass es diese nicht wirklich gibt. Zwar kann ich unter Umständen eine weitere Karte ausspielen, die natürlich auch einen Bonus hat, aber dieser wird dann ignoriert. So bleibt der eigentliche Zug recht schlank.
Baum um Baum
Nun braucht jeder Wald mindestens zwei Bäume, um sich irgendwie als Mischwald bezeichnen zu können. Und auch im Brettspiel brauche ich erst einmal einen Baum. Im Laufe einer Partie werden das spieltechnisch bedingt sogar noch mehr. Diese Bäume stellen die möglichen Plätze dar, an die ich meine anderen Karten spielen kann.
Wie in einem Ökosystem üblich kann ich an die Krone des Baumes in den meisten Fällen irgendwas mit Flügeln spielen. Neben einem Baum spiele ich Säugetiere. Und in den Wurzeln finden sich Pilze, Salamander und anderes Getier und Gefarn. Oder um es nüchterner zu beschreiben, ich spiele eine Karte oben, links, rechts oder unten an einen Baum.
Der nächste spielerische Kniff sind die Multiuse-Karten bzw. sind es eher Spiltuse-Karten. Auf jeder Karte sind immer zwei mögliche Optionen abgebildet. Auf der linken Seit gibt es dann etwa einen Bären und auf der rechten einen Feldhasen. Und ihr ahnt es schon, je nachdem ob ich eben die Karte rechts oder links an den Baum spiele, ist eben der Hase oder der Bär aktiv.
Tja, und so baue ich langsam meine Siegpunkt-Engine auf, denn wie in einem richtigen Ökosystem, stehen die Karten alle irgendwie zueinander in Beziehung.
Da gibt es unter anderem den Feldhasen. Ich bekomme für jeden Feldhasen im Spiel die Anzahl der Feldhasen in Punkten. Bei nur drei Hasen sind das schon mal drei Punkte pro Feldhase. Und als besonderen Bonus kann ich auf einen Feldhasen mehrere andere Feldhasen spielen und muss nicht jedes Mal einen neuen Baum okkupieren. Nun kommt der Fuchs dazu, dieser gibt mir auch noch einmal zusätzlich Punkte für jeden Hasen im Mischwald immerhin noch einmal zwei Punkte. Also in unserem Beispiel wären das schon insgesamt 15 Punkte. Und so beginnt sie die Suche nach Kombis, die so richtig Punkte geben.
Der Spaziergang durch den Mischwald
Entdeckt habe ich Mischwald auf Boardgamearena. Und es war Liebe auf den ersten Blick. Ich war komplett gefesselt und habe eine Partie nach der anderen gezockt. Da war diese Suche nach den Kombinationen. Welche Tiere harmonieren besonders gut miteinander? Natürlich immer aus Sicht der erreichbaren Punkte. In einer Partie versuchte ich nur über Bäume zu gewinnen. In der nächsten versuchte ich mein Glück mit Füchsen und Hasen. Es gab so viel zu entdecken und dazu der Kniff mit den Splituse-Karten. Mein spielerisches Herz pochte gleich dreimal so schnell. Und so kamen nicht nur einige Partien zusammen, sondern auch der Wunsch Mischwald auch im realen Leben in den Händen zu halten.
Doch es sollte noch etwas dauern und was macht ein Brettspieler, wenn er warten muss? Genau, er spielt Brettspiele. Und am besten natürlich das Spiel, auf das er ohnehin wartet. Also spielte ich Mischwald, Mischwald und noch einmal Mischwald.
Fallende Blätter
Doch obwohl ich sehr viel Zeit in Mischwald investierte, bis zum jetzigen Zeitpunkt sind über 300 Partien zusammengekommen, schienen am Anfang meine Kartenkombinationen nicht aufzugehen. Zwar gewann ich mal die ein oder andere Partie, aber ich verlor öfter, als ich eben gewann.
Also schaute ich mir einfach mal die ausgespielten Karten der anderen Mitspielenden an. In den Mischwäldern, die gesiegt hatten, befanden sich Hirsche und Wölfe. Natürlich Wölfe punkten für jeden Hirsch, den ich meinem Mischwald habe, aber ist das wirklich so Erfolgsversprechen?
Zusammengefasst und nach unzähligen Partien kann ich hier sagen, ja, das ist Erfolg versprechend. Wobei die Wölfe nicht der eigentlich Siegpunkt-Bringer ist, sondern es sind die Hirsche. Die Wölfe sind nur ein weiterer Bonus. Spiele ich nicht auf Hirsche und ein anderer am Tisch tut dies, kann ich die Partie eigentlich schon abschreiben.
Rothirsche, Damhirsche und Rehe
Das Problem liegt darin, dass die Hirsche schon untereinander erhebliche Boni geben und sich selbst somit Punkte geben. Damhirsche geben mir 3 Punkte pro Hirsch. Rothirsche geben mir Punkte pro Baum und was wichtiger ist, sie können durch die Bonus-Aktion einen kostenlosen Hirsch ausspielen. Tja und Rehe geben Siegpunkte für die Symbolfarben. Das miteinander kombiniert bringt Punkte ohne Ende. Natürlich spiele ich noch den ein oder anderen Bonus nebenbei aus, aber das versteht sich ja von selbst.
Das Problem aus meiner Sicht ist der Zugzwang, unter dem ich durch diese Kombination stehe. Wie gesagt, spiele ich diese nicht, überlasse ich anderen, die diese Kombi kennen, das Feld. Spielen alle am Tisch diese Kombi, entscheidet der reine Zufall darüber, ob und wann ich die richtigen Karten ziehe. Oder aber in diesem Moment wird das Spiel ausgeglichener, weil ich eben über andere Strategien und Kombinationen gewinnen kann und muss.
Dadurch wirkt das ansonsten schöne Kartenspiel ein wenig unausgeglichen. Natürlich kann jede Strategie gebrochen werden und auch das Spiel auf Hirsche ist nicht immer ein garantierter Sieg, aber die Wahrscheinlichkeit damit zu gewinnen ist eben recht hoch.
Kein Platz im Mischwald
Aber egal, für welche Strategie ich mich entscheide. Etwas, was ich nicht ausschließen kann, ist Freund Zufall. Der spielt nämlich kräftig mit meinen Karten. Denn ob eine Strategie aufgeht oder nicht, hängt eben mit den Karten zusammen, die ich ziehe. Und damit das wirklich klappt, braucht es viele Karten. Habe ich davon genug immer wieder auf der Hand, kann ich gezielt Bonusse auslösen und bleibe so im Flow. Aber ich kann eben nicht gezielt auf eine bestimmte Strategie spielen. Denn welche Karten ich in meinem Zug bekomme, haben Freund Zufall und die Aktionen meiner Mitspielenden bestimmt.
Da hilft auch nicht die offene Auslage. Sind hier nämlich zehn oder mehr Karten sichtbar, wird er abgeräumt. Und dann ist die Karte, die gut zu meiner Hand passt, auch schneller weg, als ich Mischwald sagen kann.
Auch das Ende einer Partie ist eigentlich genauso zufällig wie das gesamte Spiel. Es wird ausgelöst, wenn die dritte Winterkarte aufgedeckt wird. Wann dies der Fall ist? Keine Ahnung, denn unter dem letzten Drittel der Karten befinden sich diese Karten und nur von der Ersten wissen wir ungefähr, wo sie sich befindet. Und auch hier habe ich alles erlebt, Schluss innerhalb von nur drei Karten, die gezogen wurden. Oder es war dann die allerletzte Karte, die gezogen wurde.
Für mich persönlich wieder etwas zu zufällig.
Mischwald das Kennerspiel!?
Die Spielregeln und die Gestaltung von Mischwald haben einen ungeheuren Aufforderungscharakter. Der durchaus auch Wenigspieler anspricht. Aber das Erkennen der Kombinationen untereinander und erst das Zusammenrechnen der Punkte am Schluss, lassen keinen Zweifel daran, dass Mischwald dann doch eher etwas für Vielspieler bzw. Kennerspieler ist.
Hier ist die Frage, ob Mischwald diese mit seiner Zufälligkeit am Tisch halten kann. Für mich ist das Spiel hier zu chaotisch und eben zu unvorhersehbar. Wobei ich Spiele mit einem entsprechendem Glücksanteil gern spiele. Aber während andere Spiele wie zum Beispiel Die Quacksalber von Quedlinburg oder Arche Nova es schaffen, Glück und Strategie miteinander gut zu vermischen. Klappt dies bei Mischwald eben nicht. Zu stark sind einige Karten und führen fast schon unausweichlich zum Sieg.
So kühlte sich meine Vorfreude auf Mischwald mit jeder Partie immer weiter ab. Und als ich dann auch noch auf der SPIEL’23 das analoge Original in Live und in Farbe sehen konnte, war es mit der Vorfreude komplett vorbei. Denn im realen Leben ist es dann doch schon recht fummelig, die Karten unter die entsprechenden Bäume zu spielen. Oder auch den sehr kleinen Text auf den Karten zu lesen. Denn es handelt sich um „Standard-Karten“. Gehofft hatte ich ja durchaus auf etwas größere Karten, da bei einigen Karten schon ein wenig mehr Kontext steht.
Und auch das Spiel an sich kommt mit einer gewissen Downtime daher, gerade, wenn ich es mit Neulingen spiele. Diese müssen eben erst einmal alle Texte lesen und Symbole in Einklang bringen. Hier ist meine Beobachtung, dass ihr maximal zu dritt am Tisch sein solltet.
So geht es mir ein wenig wie Neo in Matrix, nach dem ich einmal hinter den Spiegel geschaut habe, hat Mischwald für mich einen Teil seiner Magie verloren. Und das, obwohl es meine spielerischen und grafischen Sinne komplett angesprochen hat. Und ja, es fesselt mich immer wieder, irgendwie müssen ja die 300 Partien zusammengekommen sein. Dennoch bin ich mir bewusst, dass mein Sieg nichts mit meinem spielerischen Können zu tun hat, sondern einzig durch den Zufall bestimmt wird.
Euer Rating zu Mischwald
Mischwald ist bei Asmodee erschienen.
Für die Review stand uns ein ausgeliehenes Exemplar und BGA zur Verfügung.
Hui!
Endlich mal eine Kritik zum Spiel die sich mit meinem Eindruck deckt!
Ich sah mir den Hype auf der Spiel an, las die ganzen Positiven Rezensionen, sehe das hübsche Cover, den netten Wortwitz im Namen und, die schönen Bilder auf den Karten gepaart mit dem Minimalismus der Symbole, dazu das Thema Wald, Natur, Tiere.
Das Spiel muss man einfach mögen!
Und dann spiele ich es mehrmals und denke mir: Hä?
Lese noch mal nach ob ich die Regeln vielleicht falsch verstanden habe, spiele auf BGA um ggf. meine Spielrunde als „Problem“ auszuschließen, aber No!
Das ist tatsächlich so das Spiel mit allen Vor- und Nachteilen die du beschrieben hast.
Mensch! Da bin ich ja beruhigt, dass es nicht nur mir so geht.
Hallo!
Bezüglich der unausgeglichenen Kombinationen muss ich dem Artikel recht geben. Das Spiel ist wunderschön, das Spielprinzip echt gut. Selbst das Punkte rechnen am Schluss empfinde ich als positiv. Dass ein Kartenspiel auch vom Glück abhängt, sollte klar sein. Aber die Sache mit den übermächtigen Kombinationen nervt tatsächlich etwas. Allerdings steht es jedem frei, die Regeln etwas abzuändern: Farne bringen nur 4x, Rehe nur 2x usw.
Übrigens, die erste Erweiterung steht schon in den Startlöchern – Mischwald Alpin.
Ehrlich gesagt, es würd mich nicht wundern, wenn hier auch mal eine überarbeitete Version kommt, welche dann ausgeglichener ist..
Danke für dein Feedback. Leider verschlimm bessert die Erweiterung das Problem und macht eine neue problematische Kombo auf.
jan