Eimer für Eimer werden die frischen Trauben von den Weinbergen herunter ins Dorf gebracht. Dort werden sie in großen Bottichen gesammelt, um dann an das edle Gut zu kommen. Die Winzer gewinnen aus den Trauben den begehrten Traubensaft. Mit diesem können sie dann ihr rotes oder weißes Gold keltern. Jedes Jahr aufs neue beginnt die Jagd nach dem besten Wein. Und nur das Geschick und die Erfahrung eines Winzers im Weinanbau – oder auf englisch Viticulture – macht aus guten Weinen hervorragende Weine.
Über eins kann ich mich in unserem Hobby, dem Brettspielen, nicht beschweren: Es gibt für jeden das richtige Brettspiel und auch die passende Thematik. Auch wenn der Themenbereich Mittelalter-Fantasy-Rom schon arg beansprucht ist, gibt es doch für jeden etwas. So auch für den Weinkenner, der vielleicht lieber mit seinem Rotwein vor dem Kamin sitzt und ein Buch liest. Auch für die Liebhaber des Rebensafts gibt es das entsprechende Brettspiel. Mit Viticulture – übersetzt Weinanbau – begeben wir uns nach Italien und ernten dort pralle Weintrauben, um daraus vielleicht köstlichen Wein zu gewinnen. Wie viel Viticulture in Viticulture Essential Edition von Stonemaier Games bzw. Feuerland Spiele steckt, wollen wir in unserem Review zum Wein-Brettspiel beantworten.
Viel Spaß beim Lesen!
Die Traube, der Wein und Ich
Okay, eines muss ich hier gestehen: Ich wohne zwar in der Pfalz, aber ein wirklicher Weintrinker bin ich nicht. Einzig der Federweißer, sozusagen die Vorstufe eines Weines, schafft es, dass ich mich mit dem Traubensaft auseinandersetze. Auch deswegen hatte es Viticulture erst einmal sehr schwer, auf den Tisch zu kommen. Denn mal ganz ehrlich: Ein Spiel, bei dem es um den Weinanbau geht, das kann ja nur langweilig werden. Besonders, wenn es eigentlich nur ein trockenes Worker-Placement-Spiel ist.
Soviel sei schon einmal im Vorfeld gespoilert: Viticulture ist anders. Zum einen liegt dies am Autor: Entwickelt wurde das Brettspiel von Jamey Stegmaier. Bekannt durch Spiele wie Scythe, Euphoria, Charterstone und in letzter Zeit auch Tapestry, ist Jamey mit seinem Verlag Stonemaier Games mittlerweile kein Unbekannter mehr.
Im Jahr 2013 sah das aber ganz anders aus, denn zu diesem Zeitpunkt wurde das erste Viticulture veröffentlicht und damals war Jamey zumindest hier in Europa mehr ein Geheimtipp. Aber genau dieses Spiel legte den Grundstein für die Bekanntheit von Stonemaier Games. Es sollte dann noch ein paar Jahre dauern, bis dieses Spiel, dank Feuerland Spiele, seinen lokalisierten Weg gefunden hat. In dieser lokalisierten und essentiellen Form kam es dann auch das erste Mal auf unseren Tisch und es war ein bisschen Liebe auf den ersten Blick. Und mittlerweile sind wir auch stolze Besitzer einer englischen Version des Brettspieles. Nun wird es dann auch einmal Zeit, über all die Jahre zurückzublicken, um das ominöse Brettspiel um das Thema Wein zu bewerten.
Jeder geht arbeiten, aber nicht zur gleichen Zeit
Eigentlich mache ich nicht viel in Viticulture. Wenn ich an der Reihe bin, setze ich einen Arbeiter ein und führe die Aktion aus, die dem Feld zugewiesen ist, auf den ich den Arbeiter setze. Und da es sich ja um ein Weinspiel dreht, haben auch alle Aktionen irgendwie mit dem Weinanbau zu tun. Also muss ich erst einmal Weinreben besorgen, dann müssen diese angepflanzt werden und irgendwann muss der Wein aus den gekelterten Trauben auch noch verkauft werden. Also eigentlich recht überschaubar und unspektakulär.
Aber, es sind dann doch die kleinen Sachen, die Viticulture zu einem wirklich sehr guten Spiel machen.
So stehen mir zwar alle Arbeiter in jeder Runde immer zur Verfügung aber die Aktionen eben nicht. Einige Sachen kann ich nur im Sommer machen, wie das Anpflanzen von neuen Weinreben. Andere Aktionen kann ich nur im Winter machen, wie das Ernten und Keltern von Wein. Und natürlich sind diese Felder nicht unbegrenzt verfügbar, meine Mitspieler können mir entsprechende Aktionsfelder auch noch wegschnappen. Also muss ich auch wieder beobachten: Benutzen meine Mitspieler vermehrt Aktionen im Sommer, steigen die Wahrscheinlichkeiten, dass ich mehr freie Aktionen im Winter zur Verfügung habe. Passen meine Mitspieler allerdings schon sehr früh im Sommer, sollte ich vielleicht die Gunst der Stunde ergreifen und dann doch noch unbeanspruchte Aktionen im Sommer nutzen.
Aber auch das reicht noch nicht ganz, damit Viticulture zu etwas Besonderem wird. Es ist die Einführung des großen Arbeiters. Dieser ist erst einmal nur ein weiterer Arbeiter, den ich auch auf ein Aktionsfeld einsetzen kann, so weit so gut. Doch eine Sache macht ihn besonders: Er kann ein schon besetztes Feld erneut nutzen. Und das gefällt mir gleich auf zwei Weisen. Auf der einen Seite nimmt es den Druck aus dem Spiel. Die Ungewissheit und der damit verbundene Druck zur richtigen Zeit, das richtige Feld bei einem Worker-Placement-Spiel zu wählen, wird hiermit eliminiert. Doch dies ist nur ein oberflächliches Gefühl, denn nun entsteht ein anderer noch fieserer Druck. Nun geht es nämlich darum sich zu fragen, wann setze ich diesen wertvolleren Arbeiter ein?
Manchmal bleibt mir auch keine andere Wahl und ich muss mir gar nicht überlegen, für welche Aktion ich ihn mir aufspare. Manchmal zwingt mich mein Mitspieler, ihn auf das Feld zu setzen, was er mir vor der Nase weggeschnappt hat und dann kann ich nur hoffen, dass mir das ebenso wichtige Aktions-Feld im Herbst trotzdem noch zur Verfügung steht.
Auf den Wein fertig los
In Viticulture bastelt ihr nun nicht einfach so an eurem Wein herum und irgendwann nach X-Runden ist das Spiel vorbei. Wie bei anderen Spielen von Jamey Stegmaier handelt es sich eigentlich um ein Wettrennen. Denn wer als erster 20 Siegpunkte erreicht hat, läutet das Spielende ein. Dann wird die Runde noch zu Ende gespielt und wer dann die meisten Punkte sein Eigen nennt, ist der beste Weinbauer, den es gibt.
Dabei ist die Vergabe der Siegpunkte recht holprig. Erst scheint es so, als ob es gar keine Punkte gibt oder das Erreichen der Punkte fast unmöglich ist. Zum Ende des Spiels kann es dann aber auch ganz schnell vorbei sein. Dann habe ich vielleicht genug Wein in meinem Keller gelagert, den ich nicht nur für Geld an den Kunden bringe, sondern der mir auch gleich noch Siegpunkte gibt. Hier kann ich in einer Runde durchaus auch mal Siegpunkte im zweistelligen Bereich bekommen, was schon nicht schlecht ist, bedenkt man, dass es ja nur um etwa 20 Siegpunkte geht.
Doch um in solche Regionen zu kommen, braucht es noch etwas, was typisch ist für Brettspiel von Stonemaier Games und das ist der Glücksfaktor. Denn so mancher sicher geglaubte Sieg, kann sich durch Pech beim Karten ziehen auch wieder in Rauch auflösen.
Und Karten gibt es viele in Viticulture und damit auch die Möglichkeit, dass das Karten-Zieh-Glück bzw. Karten-Zieh-Pech zuschlägt. Zum einen sind es die Weinkarten, die ich brauche, um überhaupt Wein anzubauen. Hier kann ich Pech haben und Wein ziehen, bei dem ich erst eine Bewässerung brauche, bevor ich ihn ausspielen kann. Ich kann aber auch Glück haben. Wenn ich eine Karte ziehe, die es mir erlaubt gleich schon im ersten Zug eine Karte anzubauen. Somit könnte ich auch schon im ersten Jahr meinen ersten Wein ernten.
Aber auch bei den Auftragskarten braucht es eben Glück. So bekomme ich zwar für komplizierte und hochwertige Weine mehr Siegpunkte, doch der Weg dahin ist steinig und lang. Und Gerade am Anfang macht es sich bezahlt, wenn ich eine Mischung aus Standard-Weinen habe, die mir schnell Geld geben und hochwertigen Weinen, die mir im Laufe des Spieles einfach mehr Siegpunkte geben. Aber das ist wie gesagt glücksabhängig. Und so manche Partie war für mich schon verloren, bevor sie überhaupt begonnen hat, eben weil ich die falschen Karten gezogen hatte.
Besucher sind herzlich willkommen
Um das ein wenig abzufedern, gibt es aber auch noch weitere Karten, die die Spielmechanik ordentlich durcheinander bringen können. Die sogenannten Besucher helfen uns aus mancher misslichen Lage. Je nach Jahreszeit, Sommer oder Winter, haben sie unterschiedliche Auswirkungen. Besucher, die ich im Frühjahr gezogen habe, helfen mir mit meinen Sommer-Aktionen. So kann mir ein Besucher eine Pflanzaktion geben, die mir sonst nicht mehr zur Verfügung steht, weil meine geliebten Mitspieler, diese schon besetzt haben. Oder im Winter, wenn ich meinen Wein verkaufe, bekomme ich noch einmal mehr Siegpunkte bedingt durch die ausgespielte Besucherkarte. Aber trotzdem gilt auch hier wieder der Glücksfaktor. Diese Karten können mir einen unheimlichen Boost für meine Partie geben. Sie können aber auch ein totaler Schuss in den Ofen sein und mich gar nicht vorwärtsbringen.
Prost, Viticulture
Doch auch wenn der Glücksfaktor vorhanden ist, ist er nicht schlimm. Jede Partie von Viticulture spielt sich dadurch eben anders und ich muss mich immer wieder den neuen Bedingungen anpassen. Es gibt einfach nicht dieses bestimmte Aktions-Zug-Schema, was ich in jeder Partie einfach spielen muss. Klar kann es frustrierend sein, wenn die anderen Spieler am Tisch einen Siegpunkt nach dem anderen bekommen und relativ schnell an Geld kommen, aber es ist dann umso befriedigender, dass mich auch eine langsame Strategie zum Sieg bringen kann, weil ich eben auf qualitative Weine gesetzt habe.
Natürlich ist Viticulture auch nur ein Kompromiss zwischen Spielbarkeit und Thema. So reifen meine Trauben auch weiter von Jahr zu Jahr, obwohl sie eigentlich noch in den großen Holzbottichen sind. Aber hier hat der Autor des Spieles auch schon gesagt, dass ihm dies sehr wohl bewusst ist, dass es falsch ist, aber spielerisch macht es eben mehr Sinn. Und das merke ich auch im gesamten Spiel. Alles hat irgendwie einen Sinn und bringt mich im Wettrennen um die Siegpunkte immer irgendwie weiter. Und das egal mit wie vielen Spielern ich es spiele. Selbst mit 4 Spielern fühlt sich das Spiel nicht anders an, wie wenn ich es nur zur Zweit spiele.
Und genau dieses Gesamtpaket, was Viticulture hier anbietet, sorgt auch dafür, dass das Brettspiel noch sehr lange in meiner Sammlung bleiben wird.
Euer Rating zu Viticulture
Viticulture Essential Edition ist auf Deutsch bei Feuerland Spiele erschienen.
Für die Review stand uns ein preisreduziertes Rezensionsexemplar von Stonemaier Games zur Verfügung.
Erstmal ein dickes Lob für die Kritik zu VITICULTURE EE.
Ich bin total gehookt von diesem Spiel. Momentan spiele ich es im Solo Modus, und habe sehr viel Spass damit. Gerade die Kampagne zeigt einem das Potenzial und die Stärke der einzelnen Komponenten im Spiel. Aber auch die unterschiedlich Modi für die solo Spiele sind gut gemacht.
Rundum ein super Spiel in hervorragender Qualität und schöner Optik. Sehr zu empfehlen.
Auch wir können einfach nicht genug von diesem Brettspiel bekommen. 😃
Bei diesem Spiel würde mich auch interessieren, welchen Einfluss die Erweiterungen haben. Hab mich da noch nicht eingelesen, aber schon so einiges gehört bzw aufgeschnappt. Das neue Spielbrett der Tuscani Erweiterung scheint ja doch einiges zu ändern… Das kann man daran erkennen, dass die Atuoma Karten ganz andere Aktionen in den beiden Jahreszeiten zulassen.
Nunja,… hab mir das Spiel vor Einstieg auf ein Schiff gekauft. Und es muss noch mit der Frau und Freunden gezockt werden, wenn ich wieder da bin.
Da muss ich ehrlich gestehen, da haben wir keine Ahnung. Im Moment reizt uns auch keine der Erweiterungen, da das Grundspiel eben schon so ist, wie es ist.
Habe das Game gestern Abend das erste mal gespielt (zu dritt), bin sehr angetan von der Story und den Überraschungen mit den Besucherkarten. Insgesamt ein tolles Spiel, wird uns sicher noch ein paar Abende beschäftigen.