Letztens hat @Donnerfaust auf Twitter eine interessante Frage gestellt:“Was glaubt ihr, ist die Faszination hinter Spielfiguren? Egal ob Lego oder Zinn[?]“. Wir haben intensiv darüber nachgedacht, was Miniaturen in Brettspielen mit uns machen und festgestellt, dass eine Antwort darauf deutlich mehr Umfang haben würde, als es im Rahmen von Twitter möglich ist. Die ausführliche Antwort auf eine einfache Frage findet ihr in unserem Artikel. Wir schlagen eine Brücke vom kindlichen Spiel, über Tabletop, Euro-Games und Ami-Trash bis zur Funktion von Miniaturen und sprechen noch einige andere Themenbereiche mehr an.
Kinderzimmer-Spielereien – Wieso spielen Kinder?
Kinder spielen mit Figuren und Puppen, um die Welt der Erwachsenen um sich herum besser verstehen zu lernen. Sie ahmen Situationen und Tätigkeiten nach, die sie bei den Erwachsenen beobachtet haben. Das ist wichtig für die Entwicklung der Sozialkompetenz der Kinder und sollte auch im Zeitalter von Fernsehen, Computerspielen und YouTube gefördert werden. Darüber hinaus bietet das Spielen mit Figuren aber auch Raum für Entfaltung und Kreativität. Geschichten, die über unsere alltäglichen Erfahrungen hinaus gehen, können hier erlebt und durchlebt werden. Im Spiel vermischt sich beides häufig. Das vollkommene Eintauchen in das Spiel ist dabei ein wichtiger Bestandteil, der durch Figuren noch gefördert wird.
Allerdings gibt es hier einen Punkt zu beachten: Je eindeutiger die Figur vorgibt, was sie darstellt, desto mehr lenkt sie das Spiel in eine bestimmte Richtung. Eine Figur aus Stöcken geformt oder ein Eichelmännchen kann in der Phantasie des Kindes alles sein, wohingegen ein Lego-Batman oder eine Elfenfigur von Schleich genaue Vorgaben machen. Auch die können im Spiel in ein anderes Setting gebracht werden und sich sogar begegnen. Sie sind jedoch selten etwas anderes, als das was sie darstellen und bleiben im Stereotyp ihrer optischen Erscheinung gefangen.
Das Kind im Manne – Figurenspiele für Erwachsene
Auch als Erwachsene verlässt uns die Faszination der miniaturisierten Welten nicht. Kriegsszenen werden detailliert mit kleinen Soldatenfiguren nachgestellt, ganze Eisenbahnlandschaften und werden im heimischen Keller liebevoll mit Miniaturen bevölkert. Im Tabletop schließlich kämpfen Armeen in erbitterten Schlachten um den Sieg. Die Miniaturen passen zum jeweiligen Setting und zeigen ganz genau, mit welcher Art von Einheit wir es zu tun haben: Von den Infanterie-Soldaten, die mit gezückten Sturmgewehren entschlossen auf den Feind zustürmen, über die Skelettkrieger Kavallerie auf ihren mumifizierten Pferden, die einen Flankenangriff gegen die Elfenarmee ausführen bis zum X-Wing, der einer Schwadron TIE-Fighter abzuschütteln versucht.
Tabletop – Regeln für den Krieg
Es ist offensichtlich, dass wir uns hier bereits vor Beginn des Spiels für ein Setting entscheiden, in dem wir uns anschließend für ein paar Stunden verlieren und den Alltag Alltag sein lassen können. Die Regeln und Mechanismen des Spiels geben ganz genau vor, in welchen Bahnen sich das Spiel bewegt. Was wir mit den Miniaturen machen können ist somit klar geregelt. Es ist nicht das freie Spiel der Kinder, das uns hier lockt. Unfaire Situationen sollen so weit wie möglich vermieden werden, denn spielende Kinder streiten auch oft. Als Erwachsene wollen wir diesen Unsicherheitsgrad eliminieren.
Bemalen – Mach diese Armee zu deiner Armee
Gerade im Tabletop ist jedoch die Identifikation mit der eigenen Armee sehr groß. Alle Miniaturen kommen unbemalt daher, aber unbemalte Armeen sind verpönt. So stecken Spieler Stunden an Arbeit hinein, um mit einer individuell gestalteten Armee aufs Schlachtfeld zu ziehen. Das Hobby ist zeitaufwändig und teuer, dafür ist es dann auch deine Armee und der Ehrgeiz sie in immer neue Schlachten zu führen und zu gewinnen entsprechend hoch. Die Faszination der bemalten Miniaturen reicht sogar weit über das eigentliche Tabletop-Spiel hinaus. Jedes Jahr gibt es zahlreiche Wettbewerbe, in denen sich Künstler messen können: Allen voran den Golden Demon, der vom Miniaturen-Hersteller Games Workshop organisiert wird. Regelmäßig fließt hier ein ganzes Jahr an Arbeit in eine einzige Miniatur.
Von Euro-Game bis Ami-Trash – Brettspiele ohne und mit Miniaturen
In den vergangenen Jahren sind Miniaturen auch in Brettspielen immer präsenter geworden und auch hier bewegen wir uns in einem vorher definierten Setting. Im klassischen Euro-Game stehen jedoch die Mechanismen und das Ausklügeln des optimalen Zugs im Vordergrund. Die Motivation der Spieler liegt nicht so sehr in der Immersion in der Welt des Spiels, sondern eher in der geistigen Herausforderung. Daher kommen diese Spiele auch gut ohne aufwändig gestaltete Miniaturen aus. Mein Arbeiter, der an eine bestimmte Stelle auf den Spielplan gestellt wird, muss nur eindeutig als meiner erkenntlich sein. So benötigt er eine gut unterscheidbare Farbe und muss sich auch von anderen farbigen Spielkomponenten, wie Ressourcen oder Zählmarkern, unterscheiden lassen. Der Arbeiter muss keine lebensnah geformte Miniatur sein, um diese Aufgaben zu erfüllen. Der Spieler muss sich nicht mit seiner oder seinen Figuren identifizieren, um Erfolg zu haben.
Das andere Lager von Brettspielen, liebevoll Ami-Trash (Ameritrash) genannt, legt mehr Wert auf die Spielwelt. Das Thema und das Erleben einer Geschichte stehen im Vordergrund, womit automatisch auch Charaktere wichtiger werden. Die Mechanismen sind hier Mittel zum Zweck und manchmal auch nicht so wirklich gut durchdacht. Hier schlägt die Stunde der Miniaturen. Immer mehr Brettspiele haben, zumindest für einige Figuren, die früher vielleicht einfarbige Holzkomponenten gewesen wären, passend gestaltete Miniaturen. Bei einigen Spielen sind die Miniaturen sogar die Hauptattraktion und das eigentliche Verkaufskriterium. Aus dem großen Angebot an Brettspielen mit und um Miniaturen erregen in den letzten Jahren vor allem die sehr erfolgreichen Kickstarter Kampagnen von CMON und Monolith Aufmerksamkeit. Finanzierungen in Millionenhöhe zeigen, dass die Mischung aus Brettspiel und Tabletop funktioniert, oder ist es am Ende doch nur die schiere Masse an Miniaturen, welche die Käufer anzieht?
Was Miniaturen in Brettspielen leisten müssen
Wie auch die Spielsteine aus Holz müssen Miniaturen in Brettspielen verschiedene Aufgaben erfüllen. Sie sollten es erleichtern, aus relativer Entfernung erkennen zu können, um was genau es sich da handelt, das da auf dem Brett steht. Nehmen wir Zombicide von CMON als Beispiel, ein Miniaturen-Brettspiel mit einem Setting in der Zombie-Apokalypse, in dem wir als Überlebende in verschiedenen Szenarien gegen die Zombie-Horden kämpfen.
Klare Unterscheidbarkeit: Zombies und Überlebende in Zombicide
Hier sind die Überlebenden durch eingefärbtes Plastik gut von den Zombies in einheitlichem Grau zu unterscheiden. Jeder Charakter der Überlebenden hat eine eigens gestaltete Miniatur, die gleichzeitig etwas über die besonderen Fähigkeiten Preis gibt. Die Anlehnung an Archetypen und andere Charaktere der Popkultur, die aus Film und Fernsehen bekannt sind, macht es den Spielern noch leichter, sich mit den Figuren zu identifizieren.
Die verschiedenen Arten der Zombies sind durch ihre Form und Größe auch relativ gut voneinander zu unterscheiden. So gibt es ziemlich harmlose normale Zombies in Massen. Es gibt schnellere Runner, die in passender Haltung auf den ersten Blick zeigen, dass unsere Überlebenden hier nicht so einfach davonlaufen können. Den großen und massiven Fettys sieht man sofort an, dass sie mehr aushalten als der Durchschnitts-Zombie. Abominations schließlich sind groß und die Aggressivität ist ihnen ins Plastik-Gesicht geschnitten.
Wo das nicht so gut funktioniert, ist bei HATE, ebenfalls apokalyptisch und von CMON. Hier sind sich die einzelnen Miniaturen in ihrer Gestaltung einfach zu ähnlich. Ohne Bemalung wie im klassischen Tabletop unterschieden sich die Miniaturen der einzelnen Clans recht wenig. Überall sieht man Schädel und Spikes, in allen Clans gibt es sehr ähnliche Charaktere. Die Unterscheidbarkeit muss hier über das Hilfsmittel farbiger Ringe an der Miniaturen-Basis hergestellt werden.
Miniaturen unterstützen die Immersion
Bei Zombicide wird auch die Thematik des Spiels sehr gut durch die Miniaturen visualisiert. Das Gefühl, von Zombies umringt zu sein, eine ganze Horde an Untoten auf sich zu kommen zu sehen, wird hier sehr gut eingefangen. Wie könnte man das besser in einem Brettspiel erlebbar machen, als durch einen ganzen Haufen übel aussehender Miniaturen-Zombies, die euch in einer Sackgasse einkesseln? Das ist der Kern der Miniaturenfaszination in heutigen Brettspielen. Spieler wollen mehr in die Welt eintauchen, wollen Geschichten erleben, wollen das Glücksgefühl genauso wie die Verzweiflung. Miniaturen machen uns das einfacher, denn sie führen uns die Vision des Autors und des Künstlers von der Welt explizit vor Augen. Wir müssen unsere Phantasie nicht dazu nutzen, uns vorzustellen, was diese einfarbige Holzfigur sein könnte, wie der Charakter, den sie darstellt, aussieht. Unser Verstand kann sich ganz auf die Geschichte einlassen.
Miniaturen als Mode-Erscheinung
Brauchen wir also Miniaturen in jedem Brettspiel? Der Trend scheint im Moment jedenfalls in diese Richtung zu gehen. Aber seien wir mal ehrlich, Miniaturen sind teurer als Holzmarker oder Papptokens. Und sie machen auch nicht in jedem Spiel Sinn. Für das Area-Control-Spiel Tsukuyumi – Full Moon Down hat man sich z.B. bewusst gegen Miniaturen entschieden. Das scheint auf den ersten Blick überraschend, da es sich um klassisches Miniaturen-Terrain handelt. Jedoch wären die Kosten dadurch erheblich gestiegen. Und die Pappaufsteller, die nun verwendet werden, haben noch einen anderen Vorteil: Auf ihnen lassen sich einfach zusätzliche Informationen abdrucken.
Manchmal führen Miniaturen uns sogar in die Irre, sie erfüllen ihren eigentlichen Zweck nicht. Ein aktuelles Beispiel ist Rising Sun, ebenfalls von CMON. Das Brettspiel besitzt einige wirklich eindrucksvolle Miniaturen, die das Setting sehr gut visualisieren. Allerdings hat es ein Problem: Es gibt neben den normalen Miniaturen für menschliche Einheiten auch Monster. Diese überragen die normalen Miniaturen um einiges. Das sieht sehr beeindruckend aus, nur leider macht es im Spiel selbst kaum einen Unterschied. Das doppelt so große Monster hat die selbe Einheitenstärke wie eine normale Boshi-Einheit oder auch ein Ronin-Token. Der visuelle Eindruck täuscht hier also. Trotzdem ist Rising Sun eines der am meisten gehypten Brettspiele der letzten Jahre und super erfolgreich.
Warum wir Miniaturen mögen
Der Mensch an sich ist ein visuelles Wesen. Wir erfahren unsere Umwelt primär mit den Augen. Und wenn uns das, was wir sehen, auch noch gefällt, ist das natürlich noch besser. Wir von der Brettspielerunde umgeben uns gerne mit Dingen, die uns rein visuell ansprechen. So haben wir eine ganze Wand mit Comic-Covern dekoriert, in unserem Flur hängen Drucke und Originalzeichnungen verschiedener Künstler. Wir wissen die Arbeit von Künstlern in verschiedenen Medien sehr zu schätzen und auch das Designen von Miniaturen ist eine Kunst. Wir haben sogar unsere Lieblingskünstler unter den Miniaturen-Designern.
Miniaturen sind für uns die Möglichkeit, uns mit schönen Dingen zu umgeben, die nicht viel Platz wegnehmen. Die Miniaturen hatten schon Einzug in unsere Wohnung gehalten, bevor die Brettspiele in den Vordergrund traten. Das Bemalen der kleinen Kunstwerke hat etwas sehr Entspannendes und Meditatives. Wir haben Miniaturen gezielt einzeln gekauft, wenn sie uns gefallen haben, denn echtes Tabletop war nicht unser Ding. Doch Miniaturen in Brettspielen sind genau unser Ding.
Darum freuen wir uns auch immer wieder, wenn auch Kickstarter mehr schöne Miniaturen als Stretchgoal hinzukommen. Vorausgesetzt das generelle Design der Miniaturen gefällt uns. Wir entscheiden bei Kickstarter-Kampagnen nicht nur nach den Mechanismen, sondern auch nach dem Setting und dem Aussehen der Miniaturen. Wir verzichten daher aber auch häufig auf Spiele, wenn sie uns nicht visuell ansprechen. Die vermeintlich teuren Spiele sind allerdings rein vom Wert der enthaltenen Miniaturen relativ günstig. Ja, ich weiß der reine Materialwert bei einem Brettspiel sollte eigentlich Nebensache sein. Aber selbst wenn uns das Spiel dann langfristig nicht so überzeugt, haben wir noch immer die schönen kleinen Kunstwerke, die bemalt in unserer Vitrine stehen.
Das ist ein toller Kommentar den ihr da geschrieben habt. Bei zwei Punkten würde ich aber gerne einhaken.
1. Das Kind im Menschen wäre denke ich eine, vor allem heute, sinnvollere Sichtweise. Wie auch bei Computerspielen besteht die Hauptzielgruppe nicht mehr nur aus Jungs zwischen 13-25 Jahren.
2. Miniaturen in Brettspielen sind doch nicht unbedingt so neu. In den ’80 kamen diese doch bereits auf. Auch in Deutschland und haben teilweise Markennamen wie DSA (Deutsche Produktion) oder D&D (Amerikanische Produktion) genutzt.
Hallo, danke dir für dein Feedback!
Zum ersten Punkt muss ich gestehen, dass es auch gar nicht rein auf die männliche Hälfte der Menschheit bezogen war. Ich sehe mich da durchaus mit einbezogen.
Der zweite Punkt geistert bei uns auch schon länger als Idee für einen Artikel im Hinterkopf herum. Die Geschichte der Miniaturenspiele ist durchaus ein spannendes Thema. Aber im Moment (ca. seit den letzten 3 bis 4 Jahren) erleben unserer Meinung nach Miniaturen in Brettspielen einen großen Boom.
Liebe Grüße
Jasmin
Hallo Jasmin,
dann ist der erste Punkt einfach nur ungünstig formuliert. Die Debatte ist auch im Bereich Computerspiele noch sehr groß und bisweilen auch sehr hart um fochten.
Bei Punkt zwei freut es mich das ein eigener Artikel aufkommen könnte und was ich ausdrücken will ist das die Art der Figuren vielleicht wieder aufkommt aber bei weitem nicht jetzt erst die Blütezeit erlebt.
Etwas das meine Frau noch angemerkt hat ist auch der Tonus gegen Ende, dass es bei den Figuren sehr stark um Ästhetik geht und weniger dem Spielfluss dienen. Quasi einen negativen Beigeschmack bekommt.
Der Gedanke den wir hegen, im Blick auf den Artikel, ist eher das beschriebene Kind im Menschen nach wie vor die Figuren für den Identifikations- und Entdeckungsteil des Empfindens und Verstehens nutzt. Vielleicht detaillierter und gesteuerter aber definitiv mit dem Aspekt der Identifikation im Hinterkopf. Selbst wenn ich das Spiel bereits „gelöst“ habe, dann animiert die Figur vielleicht doch zum ausmalen und schreiben von eigenen Abenteuern.