Gerade erzähle ich, wie ich die Schlange Onini an einen Ast gebunden habe, um sie einzufangen. Die Zuhörer sehen mich gebannt an, begierig darauf, zu erfahren, wie es weitergeht. Aber einige der Anwesenden sind abgelenkt. Ihre Blicke schweifen hinüber zu einem anderen Geschichtenerzähler, der von Osebo dem Leoparden erzählt und wie dieser von Anansi in einem Spinnennetz gefangen wurde. Alle lieben Geschichten über Osebo. Kein Wunder, dass sie lieber dort zuhören möchten. Ich muss wohl noch ein paar mehr Tricks auspacken, um alle mit meinen Geschichten zu verzaubern und zu inspirieren, denn eine langweilige Geschichte will ja niemand hören.
Anansi von Cyril Blondel und Jim Dratwa passt in mehrerlei Hinsicht in das aktuelle Verlagsprogramm von HeidelBÄR Games wie die Spinne ins Netz. Zum einen sticht bereits die Verpackung aus der Masse der kleinen Spielschachteln heraus, denn sie glänzt metallisch, wie es auch schon Spicy vom Vorjahr tat. Jetzt treiben wir es aber noch ein wenig bunter, indem wir einen Trickster und so viele Zuhörer wie möglich beeindrucken möchten. Wie uns das Stichspiel mit dem besonderen Kniff gefallen hat, erfahrt ihr in unserer Review.
Viel Spaß beim Lesen
Altes Spiel in neuen Gewändern
Es sei vorausgeschickt, dass Anansi kein wirklich neues Spiel ist. Es ist eine optische Aufhübschung mit anderer thematische Einkleidung des Spiels Eternity der beiden Autoren, das im Jahr 2016 bei Blackrock Games erschienen ist. Wo damals Bäume gerettet wurden, erzählen wir heute Geschichten und dabei muss eine spannender sein, als die andere.
Die thematische Einkleidung und insbesondere die Optik machen das Spiel moderner. Es hat auch unserer großen Tochter (14) gefallen, die gezwungenermaßen mitspielen musste, denn ein Stichspiel funktioniert nun mal am besten ab drei Spielern. Da das wegen der Corona-Situation durchaus schwierig werden kann, diese drei Spieler an einen Tisch zu bekommen, hat sich HeidelBÄR Games etwas einfallen lassen. Auf der Homepage gibt es ergänzende Spielregeln für zwei Spieler und auch eine Solo-Variante (zu den Addon-Regeln bei HeidelBÄR Games). Diese funktionieren zwar ganz annehmbar, trotzdem ist das Spielgefühl mit drei oder mehr Spielern einfach nicht damit zu vergleichen.
Die spinnen, die Götter!
Bei Anansi schüpft ihr in die Rolle eines Geschichtenerzählers. Anansi ist ein Trickster Gott der Ashanti aus Ghana, der ähnlich wie Loki in der nordischen Mythologie, durch Schläue und auch unfaire Tricks seine Ziele erreicht. Die Anleitung berichtet, dass Anansi, der häufig in Spinnengestalt dargestellt wird, alle Geschichten der Welt gesammelt hat, um der Weiseste von allen zu werden. Er erkennt jedoch, dass er die Geschichten teilen muss, um das zu erreichen. Der Mythologie zufolge, hat er die Geschichten dem Himmelsgott Nyame abgeluchst, indem er sie gegen einen Leoparden, eine Schlange und Hornissen eingetauscht hat, die er in die Falle gelockt hatte. Diese drei Tiere finden wir auch in den Illustrationen der Stich-Karten wieder, denn hier gibt es genau diese drei als rosa, blaue und gelbe Farbkarten mit den Werten 1 bis 14.
Stich, stich, baby – Die Regeln
Regulär wird nun über drei Runden gespielt, in denen jeder, je nach Anzahl der Mitspieler, zwischen 8 und 10 Karten erhält. Genau so viele Stiche werden dann auch pro Runde gespielt. Die Farbe der angespielten Karte muss bedient werden, hat man diese nicht auf der Hand, muss die Trumpffarbe gespielt werden, hat man diese auch nicht oder ist es dieselbe, kann beliebig bedient werden. Die höchste Karte gewinnt, die Trumpffarbe ist jedoch immer höherwertig. So weit, so gewöhnlich. Dabei gibt es jedoch ein paar Besonderheiten, die auch den Reiz an Anansi ausmachen. Unser Ziel ist es nämlich nicht nur Stiche zu machen, sondern wir müssen auch Zuhörer unserer „Geschichten“ damit inspirieren. Pro gewonnenem Stich kann ein Zuhörer von der grauen Seite auf die bunte gedreht werden. Problem dabei: Wir haben zunächst keine Zuhörer-Karten.
Ein größeres Publikum
Als Alternative zum Bedienen des Stichs kann man eine seiner Karten dazu nutzen, Zuhörer anzuwerben. Damit trägt man nichts zum Stich bei und kann diesen folglich auch nicht gewinnen. Auf den höherwertigen Karten sind jeweils ein oder zwei Zuhörer-Symbole abgebildet, mit denen man sich ebenso viele Zuhörer-Karten holen kann. Wer einen Stich eröffnet, der kann diese Möglichkeit jedoch nicht nutzen. Bei drei und vier Spielern kann es nur jeweils ein Spieler pro Stich und bei fünf Spielern zwei. Dieses Anwerben von Zuhörern hat mehrere Auswirkungen.
Zum einen wird die so gespielte Karte der Trumpf-Auslage hinzugefügt. Hierdurch wird bestimmt, welche Karte Trumpf ist. Zu Beginn einer Runde werden hier zwei Karten ausgelegt. Trumpf ist, wo mehr Karten liegen und bei Gleichstand das, was am weitesten links liegt. Durch das Anwerben von Zuhörern kann sich also die Trumpffarbe in einer Runde durchaus gezielt ändern. Die Entscheidung, welche Karte man zum Anwerben nutzt, ist also nicht leicht, insbesondere, da dies mit niedrigen Karten nicht möglich ist.
Die Zukunft vorhersagen
Die andere Auswirkung ergibt sich aus der Art, wie bei Anansi gepunktet wird. Punkte gibt es nämlich nur dann, wenn ich mindestens so viele Stiche gemacht habe, wie ich Zuhörer-Karten besitze. Dann sind alle Zuhörer inspiriert und ich habe eine tolle Geschichte erzählt. Jeder Stich zählt dann einen Punkt. So richtig toll ist es allerdings, wenn ich genau so viele Stiche gemacht habe, wie ich Zuhörer-Karten habe. Dann bekomme ich nämlich zusätzlich noch eine Bonus-Karte. Diese sind je nach Runde 2, 4 oder 7 Punkte wert und damit entscheidend für den Sieg. Habe ich in einer Runde mehr Zuhörer-Karten als Stiche, gehe ich komplett leer aus.
Es will also sehr gut überlegt sein, wann ich welche Karte nutze, um Zuhörer anzuwerben. Ich muss meine Hand und die meiner Mitspieler gut einschätzen können, um nach Möglichkeit genau abzuschätzen, wie viele Stiche ich machen werde. Das ist gar nicht so einfach, wie es sich anhört und verlangt viel Übung.
Der richtige Twist für mehr Spielspaß
Ich bin ehrlich und gestehe, dass ich Stichspiele im Allgemeinen nicht wirklich gerne spiele. An Die Crew hatte ich zum Beispiel wirklich überhaupt keine Freude, wir sind einfach nicht miteinander warm geworden. Trotzdem hatte ich mit Anansi von Anfang an Spaß. Bereits auf der Castle TriCon des Verlags im Herbst 2020 konnte ich eine Proberunde spielen und war sofort begeistert. Dieser Twist bringt ein wenig mehr Ausgleich rein, wenn man als nicht so geübter Spieler gegen einen Stich-Profi antritt. Es sorgt natürlich nicht dafür, dass absolute Chancengleichheit besteht, aber es macht die Sache deutlich interessanter.
Es entstehen Situationen, bei denen man zwischen Pest und Cholera wählen kann, wenn man plötzlich nur noch zwei Trumpf-Karten auf der Hand hat, mit denen man eigentlich vorhatte zu verlieren, weil man bereits die perfekte Anzahl an Zuhörern und Stichen vor sich liegen hatte. Das kann einem die gesamte Planung vermiesen und auch einen Haufen Punkte kosten, denn Zuhörer-Anwerben kann man eben nicht, wenn man den Stich beginnen muss.
Mut zu auffallender Optik
Auch die Gestaltung ist hier etwas Besonderes. Man hat mit Dayo Banyegunhi und Emmanuel Mdlalose zwei afrikanische Künstler engagiert, die einen ganz eigenen Stil mitbringen und gleichzeitig aus der Kultur stammen, die auch den thematischen Hintergrund für Anansi liefert. Das Ergebnis ist ein sehr buntes und auffälliges Spiel, dem man irgendwie ansieht, dass hier keine Null-Acht-Fünfzehn Illustration das Ziel war. Alles ist ein wenig zu kantig, zu schrill und der auffällige Metallic-Druck tut sein Übriges dazu. Das mag für uns Lohhausen und The Mico gewohnten Spieler zunächst verwirrend und irritierend sein, ist aber eine willkommene Abwechslung zum Einheitsbrei. Diversität steckt nicht nur in den Autoren, sondern sollte auch bei der Gestaltung eine Rolle spielen. Mir jedenfalls gefällt der Look und auch unsere Tochter war sehr angetan.
Modernes Spiel für moderne Zeiten
Es gab wirklich viele frustrierende Momente, aber auch viele Glücksmomente mit Anansi bei uns am Spieltisch. Jüngere Spieler lassen sich durch die wirklich schöne moderne Optik gerne an den Spieltisch locken und für alte Stichspiel-Hasen sind genügend Kniffe eingebaut, die einen viele Partien über neue Taktiken ausprobieren lassen. Und wenn da die lästigen Mitspieler nicht wären, würden einige Pläne natürlich viel besser aufgehen…
Euer Rating zu Anansi
Anansi ist auf Deutsch bei HeidelBÄR Games erschienen.
Für die Review stand uns ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.