Das Baby liegt friedlich in der Ecke und schläft. Über allem liegt eine wohlige Wärme, nicht nur ausgehend von dem Lagerfeuer, welches langsam vor sich hin brennt. Doch so gemütlich es hier drinnen ist, so unwirsch ist es außerhalb der Hütte. Der Regen prasselt auf das Dach und der Wind versucht mit aller Gewalt, die Fensterläden aufzubrechen. Und das sind nur die weltlichen Gefahren. Aber das Baby mit dem Namen Milly hat Vertraute um sich, die sich diesen Gefahren stellen und sich um das Wohl des Babys kümmern. Die Zukunft wird zeigen, was Milly und ihren Vertrauten noch erleben werden. Aber diese Nacht bleibt es erst einmal friedlich, sodass sie alle durchatmen können.
Mit Familiar Tales kommt ein neues Kampagnen-Brettspiel aus dem Hause Plaid Hat Games. Dabei finden sich viele bekannte Elemente wieder. Wieder ist ein dickes Kamapgenbuch dabei, in dem sich auch die Spielpläne befinden. So etwas hatten wir ja schon bei Herr der Träume und Aftermath gesehen. Aber auch andere Elemente kommen einem bekannt vor, wenn man die vorherigen Brettspiele aus dem Verlag schon einmal auf dem Tisch hatte. Neu ist nun allerdings, dass es zwingend eine App bzw. einen Webzugang braucht, damit ihr das Spiel wirklich in aller Tiefe erleben könnt. Wie sich Familar Tales bei uns geschlagen hat, könnt ihr in unserer Review erfahren.
Viel Spaß beim Lesen!
Familiar Tales: Altbekanntes in neuem Brettspiel
Puh, war das ein Ritt. Nach insgesamt 34 Partien, Runden oder Missionen, hatten wir das neuste Brettspiel Familar Tales aus dem Plaid Hat Games abgeschlossen. Um die 40 Stunden Spielzeit sind in dieses Erlebnis geflossen. Und ja, so viel ist schon einmal klar, es hat sich auch gelohnt. Wir hatten unseren Spaß daran. Aber wo Licht ist, ist auch Schatten und auch Familiar Tales bleibt davon nicht verschont. So gab es neben dem Spaß auch einige Frust-Momente, aber dazu später mehr.
Aus meiner Sicht ist Familiar Tales das bis jetzt beste Brettspiel dieser Reihe, die mit Maus und Mystik begonnen wurde und sich immer weiter entwickelt hat. Unterm Strich ist Familiar Tales ein Mix aus allen vergangenen Spielen von Plaid Hat. Da findet sich das Ortsbuch aus Herr der Träume wieder, die Entscheidungen aus Aftermath und die App aus Forgotten Waters. Und das alles natürlich präsentiert mit einer langen zusammenhängenden Geschichte.
Aber auch neue Elemente finden ihren Weg ins AdventureBook-Games-Universum. So werden Proben nicht mit Würfeln bestritten, sondern wir nutzen ein Kartendeck. Ach, das gab es doch schon in Aftermath, werden jetzt einige richtigerweise anmerken. Aber in Familiar Tales hat jeder Spielende sein eigenes Kartendeck und kann dieses dank Deck-Building auch weiter umbauen bzw. ausbauen, wo wir bei Aftermath im Gegensatz dazu ein gemeinsames Deck für unsere Proben genutzt haben.
Also zusammengefasst: viel Bekanntes und etwas Neues und zack fertig ist Famliar Tales. Das macht den Einstieg in das Spiel für uns recht angenehm, da wir die anderen Spiele ja auch schon gespielt hatten.
Jetzt auch mit App
Die vielleicht größte Neuerung ist allerdings die App, die nun zwingend benötigt wird. Statt dass die Story im Abenteuerbuch steht, wird euch diese nun digital präsentiert. Dies hat natürlich seine Vor- und Nachteile, wie eben bei allen Brettspielen, die mit App daher kommt. Ein Punkt, der für die App spricht, ist die Vertonung. Ihr braucht die Geschichte nicht mehr lesen, sondern diesen Part übernimmt eben die App. Auch nimmt euch die App in den ersten Missionen an die Hand und erklärt euch Schritt für Schritt das Spiel. Selbst der Spiel-Aufbau kann begleitend durch die App unterstützt werden.
Nachteil: Ihr braucht eben eine App. Wer also in einer einsamen Berghütte ohne Internet und Strom Familiar Tales spielen möchte, der kann das nicht. Zumindest die Internetverbindung ist aber nicht mehr zwingend notwendig. Plaid Hat Games bietet auf ihrer Seite auch eine herunterladbare Version an, die alle Texte und Sprachdateien beinhaltet. Aber klar, will ich einfach keinen Computer oder Smartphone am Tisch, hilft das natürlich auch nicht.
Für uns stellte sich das nicht als problematisch dar. Wir mögen es sogar, wenn Sachen von Apps übernommen werden. Allerdings sind wir auch schon durch Brettspiele wie Herr der Ringe – Reise durch Mittelerde oder Descent entsprechend sensibilisiert worden. Für uns überwiegen einfach die Vorteile und auch das Schonen meiner Stimme, wenn ich selber nicht mehr laut alle Passagen vorlesen muss.
Und für die Technik-Affine Jugend gibt es hier ohnehin weniger Bedenken. Gespielt hatten wir unsere Kampagne nämlich mit Kind eins und ihrem Freund und beide fanden das mit der App richtig cool umgesetzt. Gerade für ihren Freund war das alles Neuland, nicht nur die App, sondern auch der Umstand, was heutige Brettspiele so alles leisten können.
Familiar Tales ist das beste AdventureBook, aber da gibt es noch viel Luft nach oben
Wie ich schon weiter oben erwähnte, machte uns das gesamte Abenteuer durchweg Spaß. Und ja, ihr ahnt es schon, da liegt ein großes Aber in der Luft. Da wäre zum einen das Missions-Design. Zu viele Konflikte oder nennen wir sie besser Begegnungen, werden dadurch gelöst, als dass wir die Gegner einfach nur stupide umhauen. Das ist gefühlt bei zwei Dritteln des Abenteuers der Fall. Dabei gibt es die Missionen, die hoffnungsvoll anfangen und wir uns des Öfteren dachten, dass es vielleicht anders geht, bis eine Wache alarmiert wurde und es dann wieder zu Plan A wie Angreifen überging.
Und dabei sind die Gegner auch immer irgendwie gleich. Ihr Verhalten und ihre Taktiken sind immer ähnlich. Einzig die Schwierigkeit was Angriffe und Verteidigung angeht, verändert sich im Laufe des Spiels.
Auch andere Elemente aus stupiden Rollenspiel-Zeiten finden sich leider in Familiar Tales wieder. Teilweise werden Proben derart schwierig oder unfair gestaltet, dass wir sie einfach nicht schaffen konnten. Das führte dann natürlich in diesen Momenten zu Frust und da blickte ich dann schon das ein oder andere Mal in enttäuschte Teenager-Gesichter, die sich irgendwie betrogen fühlten, obwohl sie so viel Energie in die Probe steckten.
Gerade durch diese aus meiner Sicht designtechnischen Fehlentscheidungen fühlte sich Familiar Tales im zweiten Akt zäh wie ein Kaugummi an. Neue Seite aufschlagen, alle Gegner besiegen und dann wieder von vorne, neue Seite usw.
Und wenn ich schon einmal dabei bin…
negative Punkte aufzuzählen, kommt noch ein weiterer hinzu. Das betrifft die enttäuschende deutsche Vertonung. Zum einen, und das hab ich ja schon oben beschrieben, bin ich erst einmal froh, dass es überhaupt eine solche gibt. Oft genug haben wir dabei in die Röhre geschaut. Aber die Qualität schwankt hier sehr stark, während der Erzähler einen soliden und guten Job macht, gibt es andere Sprecher und Sprecherinnen, die hier nicht wirklich zur Atmosphäre beigetragen haben.
Teilweise hatten wir das Gefühl, dass es sich nicht um deutschsprachige Sprecher*innen handelt. Sondern, dass der Text nur phonetisch abgelesen wurde.
Oder es fehlten einfach die Emotionen. Als besonders deutliches Beispiel sticht hier die Sprecherin der Milly, die weibliche Hauptfigur, hervor. Egal, ob Milly Angst hatte, sich über etwas freute oder Brötchen bestellte, es war immer die gleiche monotone Ausdrucksweise. Hört man sich dann die englische Vertonung dazu an, liegen Welten dazwischen.
Ein weiterer Punkt ist klarerweise die Story an sich. Natürlich ist schon irgendwie ab der ersten Spielsitzung klar, wohin die Reise geht. Gerade wenn ich mir die Spiel-Materialien anschaue, kann ich schon eine ungefähre Ahnung davon bekommen, was da so kommen wird. Klar, ihr könntet jetzt sagen, dann schau dir das eben nicht an. Aber und das ist die Krux, ich muss vor der ersten Partie eben auch alles erst einmal einsortieren.
Auch die App kommt nicht ohne Kritik davon. Hier ist uns besonders aufgefallen, dass zum einen die Hintergrund-Musik nicht nur viel lauter ist als die Dialoge, sondern auch, dass diese bei den Dialogen mittendrin einfach einsetzte. Aber auch andere kleinere und manchmal nervige Bugs störten dann doch das ein oder andere Mal das Setting.
Familar Tales ist unterhaltsam bis zum Schluss
Auch wenn das Mission-Design bisweilen recht eindimensional ist und wie erwähnt die Vertonung auch nicht immer das goldene vom Ei ist, bleibt Familiar Tales unterhaltend. Wobei dies auch daran liegt, dass die Story und die Missionen zum Ende hin an Fahrt gewinnen, auch wenn die eigentlichen Missionen nichts Neues bieten und wir alles irgendwie schon einmal irgendwann gesehen haben.
Aber es muss eben auch die richtige Gruppe am Tisch sitzen. Auch wenn es vielleicht den Eindruck macht, dass es eher leichte Familienkost für Eltern und Kinder ist, gibt es dennoch einige Augenblicke, in denen das Spiel nicht für jüngere Kinder geeignet ist. Auch die grundlegende Karten-Mechanik bei Familar Tales ist dann doch eher etwas für ältere Kinder.
Für mich ist Familar Tales ein gelungener Zwischenschritt auf dem Weg zum ultimativen AdventureBook-Brettspiel. Es bügelt viele spielerische Schwächen aus, die noch bei Herr der Träume oder Aftermath vorhanden waren. Aber so lange dieses Brettspiel noch nicht auf dem Markt ist, bleibt Familiar Tales das bis jetzt beste Spiel in dieser Kategorie.
Euer Rating zu Familiar Tales
Familiar Tales ist auf Deutsch bei Asmodee erschienen.
Für die Review stand uns ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.