Kommen Sie näher und wagen Sie einen Blick! Vor sich sehen Sie die neuste Errungenschaft unserer Zeit. Dieser neue Speer besticht nicht nur durch seine gerade Form. Nein, unsere Manufaktur hat nun auch die standardisierte Spitze aus Holz durch einen Stein ersetzt. Mit diesem Stein fliegt der Speer nicht nur stabiler sondern ist damit auch treffsicherer. Durch diesen Stein dringt die Spitze auch tiefer in das Mammut ein und so können Sie bei gleicher Anzahl an Speeren mehr Wild in kürzerer Zeit erlegen. – Werbebotschaft gefunden in einer Höhle vermutlich entstanden um 95.000 v. Chr.
Der Münchner Verlag Hans im Glück ist ja dafür bekannt, durchaus hochwertige Brettspiele zu verlegen. Im Verlag lässt man sich eher ein wenig Zeit und bringt pro Jahr auch nur eine überschaubare Anzahl an Brettspielen heraus. Und unter diesen Spielen finden sich dann auch schnell sehr bekannte Spiele wieder. Den meisten ist Carcassonne durchaus bekannt. Andere kennen die Spiele aus der Marco Polo Reihe und ins All sind wir auch schon in Lift Off geflogen.
Nun begeben wir uns also zurück in der Zeit und kümmern uns um die Belange eines Stammes in der Steinzeit. Da das Leben zu der Zeit ja schon hart genug war, spielen wir auch nicht gegeneinander, sondern versuchen in kooperativer Manier den Alltag zu meistern. Wie sich das spielt und wie sich der Ausflug in die Steinzeit anfühlt, könnt ihr in unserer Review zum Brettspiel Paleo von Peter Rustemeyer nachlesen.
Viel Spaß beim Lesen!
Reise ins Paleo
Der Begriff Paleo ist kein Kunstwort, sondern eine Abkürzung für die Altsteinzeit bzw. das Paläolithikum. Das dauerte ungefähr vom 02. Februar 600.000 v. Chr. und ging bis zum 28. August 10.000 v. Chr. Und genau das ist auch die Zeit, in der irgendwann unsere Sippe lebt. Das Mammut streift durch die Gegend und ist für uns nicht nur ein toller Anblick, sondern es ist auch unsere Nahrungsquelle und eine Ressourcen-Quelle. Kleidung aus Fell hält nicht nur warm, sondern ist auch noch modisch schick. Doch aller Anfang ist für unsere Sippe schwer, denn am Anfang haben wir eigentlich nichts. Es hat schon fast den Anschein, als ob unsere Eltern uns aus der liebgewonnenen Höhle rausgeschmissen haben. Als Abschiedsgeschenk gab es ein wenig Nahrung und das war es.
Natürlich ist klar, dass diese Start-Ressourcen nicht reichen werden. Und wenn wir uns nicht um neue Nahrung kümmern werden, wird es am Ende des Tages kein gutes Ende nehmen. Doch wo es was zu essen gibt, wissen wir noch nicht wirklich. Gut, dass es dazu den passenden Kartenstapel gibt. Am Anfang eines Tages oder einer Runde wird dieser Stapel einigermaßen gleichmäßig unter den Mitspielern aufgeteilt. Das ist euer Stapel für den Tag. Am Anfang einer Runde zieht jeder von uns von seinem Stapel eine Karte aus den obersten drei Karten. Dabei ist die einzige Info, die ihr habt, die Kartenrückseite. Die anderen Karten bleiben auf dem Stapel. Dann wird die Karte ausgespielt. Und alles beginnt wieder von vorne. Sobald ihr als Gruppe, dass entsprechende Szenario-Ziel erfüllt habt und bis dahin nicht verhungert seid, gewinnt ihr das Spiel. Fertig! Tolles Spiel und fertig ist auch die Review, oder?
Das kleine Detail
Ganz so einfach ist es dann doch nicht, denn wie immer lohnt sich der Blick auf die kleinen Dinge. Die Karten, die wir von unseren Stapeln ziehen, sind nämlich so eine Sache. Ich weiß immer nur bedingt, um was für Orte es sich handelt. So gibt es zum Beispiel den Wald, hier werdet ich höchstwahrscheinlich Holz finden, was ich wiederum brauche, um das ein oder andere Werkzeug zu bauen. Aber auch die ein oder andere Beere lässt sich hier finden. Oder aber ich schaue mich im Gebirge um, was wird es da wohl geben? Klar Steine und die sind in der Altsteinzeit extrem wichtig, aber es gibt eben auch Höhlenbären. Und bevor ich nem Höhlenbär die Höhle wegnehmen kann, muss dieser erst einmal aus der selbigen vertrieben werden.
Auch wenn ich natürlich auf die Hilfe meiner Mitspieler zählen kann, heißt das noch lange nicht, dass ich das auch schaffe. Gerade am Anfang sind wir eben nur ein kleiner Stamm und wir müssen aus den gesammelten Steinen und dem Holz erst einmal unsere Waffen herstellen. Diese können wir dann einsetzen, um den Bären oder das Mammut zu erlegen. Und damit das dann eben nicht nur einer in der Gruppe machen muss, kann ich meinen Mitspielern die Hilfe zukommen lassen, die sie brauchen.
Denn wenn ich am Zug bin, kann ich entscheiden, ob ich meinen Ort abhandeln möchte oder ob ich lieber jemanden meine Hilfe anbiete. Das Problem sind nur die anderen Mitspieler, denn jeder möchte eigentlich Hilfe entgegennehmen, aber selbst helfen ist nicht so das Wahre. Denn bei Paleo gilt, der Ort bzw. die Karte, die ich gezogen habe, ist immer besser als die meiner Mitspieler und die sollten natürlich mir helfen!
Hilfe, ich brauche Hilfe!
Und so beginnen sie: die Diskussionen. Wenn du mir jetzt hilfst, dann haben wir doch das Holz, das wir für unsere Unterkunft brauchen. Oder aber, du musst mir jetzt helfen, weil ich zufällig jetzt einem Wolf begegnet bin und ich nicht genug Muskeln habe, um ihn zu besiegen. Natürlich geht auch das Gegenteil, keiner kann irgendwem helfen, weil einfach die Symbole bzw. Fertigkeiten bei meiner Gruppe von Menschen fehlt. Dieser Fall ist aber recht selten, denn irgendwie kann man immer was machen. Und im ersten Fall kann ich mich meistens dann doch auf einen Konsens einigen. Und so hebelt Paleo ganz elegant eines der größten Probleme aus, die es in einem kooperativen Brettspiel gibt: den Alpha-Spieler.
In Paleo gibt es eben nicht die feste Runden-Struktur oder den optimalen Zug. Ihr müsst euch euren Begegnungen irgendwie stellen. Gerade in den ersten Runden geht es meistens erst einmal darum, das Karten-Deck kennenzulernen. Denn ihr spielt in Paleo einzelne Szenarien, die eben aus unterschiedlichen Basis-Karten bestehen, die immer dabei sind. Je nach Szenario kommen dann aber eben noch einmal spezielle Karten dazu, in den meisten Fällen Orte, die euch befähigen das Ziel zu erreichen.
Und deswegen kann der Alpha-Spieler eben nur bedingt agieren. Und das ist ein Element, was ich an Paleo sehr genieße. Jeder kann und muss sich einbringen, damit die Sippe den Tag übersteht. Dieser endet übrigens erst dann, wenn alle Spieler gepasst haben. Am Anfang jeder Runde kann ich nämlich entscheiden, ob ich die drei Karten ziehen möchte oder ich für heute den Tag Tag sein lasse und mich zurück in die Höhle begebe. Dann haben die anderen Mitspieler zwar eine Hand weniger zur Hilfe. Aber wenn mein Stapel nur noch aus den gefährlichen roten Karten besteht, ist es vielleicht doch besser, sich ne Mütze Schlaf zu gönnen.
Karten verlieren
Damit ihr nicht ewig wie ein Murmeltier immer wieder den gleichen Tag erlebt, werden viele der Karten nach dem Spielen abgeworfen und sind somit aus dem Spiel. Stellt ihr euch einer dieser gefährlichen roten Karten und trefft hier auf einen Wolf, ist er danach eben nicht mehr da, wenn ihr es schafft, ihn zu überwältigen. Andere Karten sind vielleicht nicht so gefährlich, bringen euch aber trotzdem in eine Zwickmühle. Zum Beispiel könnt ihr im Wald auf einen Busch mir Beeren treffen. Ihr könntet nur ein paar Beeren pflücken und der Busch steht euch am nächsten Tag wieder zur Verfügung. Oder ihr erntet ihn komplett und dann muss diese Karte eben aus dem Spiel, weil es nun keine Beeren mehr gibt.
Ihr werdet jetzt natürlich sagen, das ist doch keine Entscheidung. Ich lass den Busch stehen, so habe ich ja jeden Tag was zu Essen. Aber was ist, wenn ihr immer noch nicht genug Nahrung habt um all eure Menschen zu ernähren und diese Karte würde genau diese Lücke an Nahrung schließen, die ihr braucht? Schon ist die Entscheidung nicht mehr so einfach und manchmal ist es dann eben ein bisschen Pokern. Vielleicht setzen wir einfach alles im wörtlichen Sinne auf eine Karte und müssen dann am nächsten Tag unser Ziel erreichen. Oder wir lassen es und spielen ein wenig auf Zeit, wo uns dann aber auch auf lange Sicht gesehen, die Nahrung ausgeht.
Langweilig wird es in der Altsteinzeit eben nicht. Und selbst wenn ich eine Partie verliere, ist das kein Problem. Paleo schafft es nämlich, dass es sich nicht so frustrierend anfühlt, wie zum Beispiel bei einem Pandemie. Sondern es verleiht mir dieses Ach-Mist-Gleich-Noch-Eine-Partie-Gefühl.
Paleo – Ein Spaß für die ganze Steinzeit-Familie
Einige Leser des Blogs oder Hörer des Podcasts wissen es schon. Ich bin nicht unbedingt ein Freund von kooperativen Spielen. Es gibt nur wenige Ausnahmen wie zum Beispiel Eldritch Horror oder auch Herr der Ringe – Reise durch Mittelerde schaffen es mich zu begeistern. Meistens sind es also die Brettspiele mit genug Story. Das bietet Paleo jetzt nicht unbedingt. Zwar gibt es hier eine kleine Meta-Ebene, die die einzelnen Szenarien beschreiben, aber so sehr reißt diese mich nicht vom Hocker. Paleo schafft es aber, mich auf eine andere Weisen zu begeistern. Vor jedem Szenario steht erst einmal das Entdecken und meistens auch das Scheitern vom ersten Durchlauf. Aber sobald ich weiß, auf was es ankommt, packt mich die Paleo-Diät. Irgendwie muss ich das Szenario doch bewältigen können.
Dazu kommt noch das für meinen Geschmack wirklich kooperative Spielen. Keiner kann so wirklich über die anderen Mitspieler bestimmen. Jeder Steinzeitler ist wichtig und das ergibt eine wunderschöne Gruppendynamik am Tisch. Und dann sind da diese Entscheidungen. Baue ich jetzt den Speer oder konzentriere ich mich erst darauf, genug Nahrung zusammenzubekommen, dass diese auch noch den nächsten Tag reichen wird? Und in Kombination mit der Gruppendynamik entsteht hier ein wunderschönes Spielgefühl am Tisch.
Das Ding mit den Regeln
Wo Licht ist, ist aber auch Schatten und der lastet bei Paleo eindeutig auf der Anleitung. Das Spiel ist nicht schwer zu erlernen. Aber die Regeln verkomplizieren dies unnötig. Der Verlag hat hier schon nachgebessert und die Regeln überarbeitet. Allerdings auch bei der zweiten Version finde ich, wie auch schon bei der ersten Version, nicht immer das, was ich suche auf Anhieb. Und gerade, wenn ein wenig Zeit ins Lande gegangen ist und Paleo wieder auf den Tisch kommt, wird es immer wieder die Situation geben, in denen ich die Frage eines Mitspielers erst einmal mit der Floskel beantworten muss: „Moment, ich habe das irgendwo in den Regeln gelesen, ich schaue schnell nach.“. Leider dauert es dann doch länger als gedacht und so etwas bringt dann schon den Ablauf während des Spieles ins Stocken.
Doch sobald ich wieder drin bin, geht Paleo flott von der Hand. Und so stürze ich mich gerne mit meinem imaginären Speer ins Abenteuer. Und brülle vor lauter Freude „Ugh!“, wenn die Höhlenmalerei unsere triumphalen Ereignisse erzählt und an die Nachwelt weitergibt!
Euer Rating zu Paleo
Paleo ist auf Deutsch bei Hans im Glück erschienen.
Für die Review stand uns ein Rezensionsexemplar zur Verfügung.