Man liebt sie oder man hasst sie: kooperative Brettspiele. Manchmal gilt aber auch beides. Eigentlich klingt die Idee, gemeinsam als Gruppe gegen das Brettspiel selbst und so imaginär auch gegen den Autor anzutreten, nicht schlecht. Nicht umsonst haben sich kooperative Brettspiele in den letzten Jahren als fester Bestandteil der Brettspiel-Szene etabliert. Doch wo Licht ist, gibt es auch Schatten. Zumindest habe ich manchmal meine Probleme mit dem kooperativen Gedanken. In diesem Artikel möchte ich euch darlegen, wieso das so ist.
Es gibt sie nun schon seit einer ganzen Weile. Den großen Durchbruch hatte die neue Art von Spielen mit Erscheinen von Pandemie, das 2009 zum Spiel des Jahres nominiert war, dann aber hinter Dominion zurückstecken musste. Das Spiel von Autor Matt Leacock war der Auslöser für einen wahren Boom an Koop-Spielen. Als Team aus Seuchenspezialisten müsst ihr eine weltweite Pandemie von Krankheiten verhindern. Doch Erfolg ist hier keinesfalls garantiert. Nur gute Planung und ein Quäntchen Glück bringen die Spieler gemeinsam zum Sieg und zu nicht weniger als der Rettung der Welt. Und zugegeben: Gemeinsam die Welt gerettet zu haben, ist ein ungleich besseres Gefühl, als das alleine vollbracht zu haben und den Rest am Tisch beim Scheitern an dieser Aufgabe zugesehen zu haben.
Alphaspieler und die Schuldfrage
Man gewinnt gemeinsam, aber man verliert eben auch gemeinsam. Dann kann man schnell analysieren, dass die Karten für die zu infizierenden Städte unglücklich kamen und man ja eigentlich nur Pech hatte. Das Spiel ist Schuld, nicht die Gruppe. Oder… Tja und hier liegt ein großer Nachteil an kooperativen Spielen: Oder man ist sich am Tisch plötzlich einig, dass einer in der Runde nicht das optimale aus seinem Zug herausgeholt hat und daher eigentlich Schuld ist. Das bleibt manchmal unausgesprochen, steht jedoch insbesondere bei Pandemie ab und zu im Raum. Dann kommen Kommentare wie: „Das hab ich dir doch vorhin schon gesagt. Hätten wir mal lieber gemacht, was ich vorgeschlagen habe.“ Das bleibt natürlich nicht ohne Folgen. Es wird während der Partie viel diskutiert, und der ein oder andere Spieler fühlt sich dazu genötigt, zu allem seinen Senf zu geben und anderen ihre Züge zu diktieren. Das berühmte Alphaspieler-Problem rührt aus dem unbedingten Willen, das Spiel nicht gewinnen zu lassen. Was ist schon eine verlorene Partie, wenn jeder seine eigenen Entscheidungen getroffen hat? Und was ist eine verlorene Partie, wenn einer alle Entscheidungen getroffen hat? Dann geht die Gemeinsamkeit schnell verloren.
Noch schlimmer wird es, wenn wie bei Pandemic Legacy eine verlorene Partie Auswirkungen auf die nächste hat. Es war eine weise Entscheidung von Rob Daviau und Matt Leacock, das Voranschreiten in der Kampagne nicht vom Gewinnen einer Partie abhängig zu machen. Trotz allem macht der Legacy-Aspekt es noch schwieriger am Gemeinsamen festzuhalten, denn trotz dem man in der Geschichte weiter kommt, bringen einem verlorene Partien natürlich nicht so viele Punkte in der Endwertung.
Ich gebe offen zu und vielleicht hat das hier der ein oder andere schon erkannt: Ich bin kein Fan von Pandemie. Mich packt das Spiel einfach nicht. Ich spiele eigentlich nur noch die Legacy Partien und dann hab ich erst mal wieder genug. Aber hier ist es auch eher die Geschichte, die ich erleben möchte, die mich Runde um Runde durchstehen lässt. Meistens bleibe ich friedlich, zumindest ist das mein subjektives Empfinden. Ich mache, wie der Rest meiner Gruppe auch, Vorschläge, was getan werden könnte. Da alle anderen in der Runde große Fans von Pandemie sind, versuche ich ihnen ihren Spaß zu lassen und mich zurückzuhalten. Manchmal habe aber auch ich meine fünf Minuten. Jedoch ist keiner von uns vor der Alphaspieler-Krankheit gefeit. Schlimmer als ein Alphaspieler sind nur vier Alphaspieler.
Scheitern ohne zu kapitulieren – Verlieren als Konzept
Und da lobe ich mir einfach klassische kompetitive Brettspiele. Hier ist klar, dass man dem anderen am Tisch nichts gönnt. Man nimmt sich gegenseitig Plätze, Karten oder Ressourcen weg. Man motzt, wenn man nicht bekommt, was man wollte. Es ist immer klar, wer hier schuld ist. Meistens sind das die anderen. Es sei denn man erkennt, dass man Fehler gemacht hat und zieht daraus genügend Motivation, es beim nächsten Mal besser zu machen. Beliebtes Beispiel hierfür sind Rajas of the Ganges oder auch das klassische Zug um Zug. Bei letzterem verliere ich mehr, als ich gewinne (bisher nur einmal), aber ich kann es auf fehlendes Glück schieben und darauf, dass mein Göttergatte um einiges mehr Partien hinter sich hat. Trotzdem liebe ich das Spiel heiß und innig. Bei Rajas of the Ganges hat Jan am Anfang auch immer gewonnen. Dann gingen die Partien 50:50 aus. Mittlerweile liege ich nach Siegen leicht vorne. Verlieren kann mich also durchaus motivieren, wenn niemand ein gemeinsames Scheitern an einzelnen Personen wettmacht.
Verlieren ist im Übrigen ein sehr beliebtes Konzept bei kooperativen Spielen. Es gibt immer viele Wege, um zu verlieren, aber meistens nur einen, um gegen das Spiel zu gewinnen. Robinson Crusoe von Ignacy Trzewiczek und Arkham Horror (das bereits in der dritten Edition erschienen ist) sowie Eldritch Horror und auch das umstrittene This War of Mine haben das Scheitern zur Kunstform erhoben. Wer nicht verlieren kann, sollte sich an diese Art von Brettspielen besser nicht heranwagen. Allerdings ist der Glücksfaktor bei diesen Spielen auch um einiges höher angesiedelt. Wir als Spieler befinden uns von Anfang an in einer so gut wie aussichtslosen Situation und versuchen gegen den steten Strom an schlimmen Ereignissen anzukämpfen. Ein Sieg fühlt sich hier wirklich wie ein echter Triumpf an, da er alles andere als selbstverständlich ist. Es mag am höheren Glücksfaktor liegen, dass ich mit dieser Art kooperativer Brettspiele weniger Probleme habe. Und dann wären da noch die Ameri-Trash Koop-Spiele wie Zombicide oder Massive Darkness, die ohne diesen hohen Schwierigkeitsgrad auskommen. Sie sind einfach darauf ausgelegt, zusammen eine gute Zeit zu verbringen.
Einmalige Erlebnisse – Escape-Spiele und T.I.M.E Stories
In den letzten Jahren ist eine weitere Art von kooperativen Brettspielen hinzugekommen, die eine absolute Leidenschaft bei mir ausgelöst haben. Escape-Spiele treffen bei mir eindeutig einen Nerv. Ich mag es Rätsel zu lösen und stetig voranzukommen. Ein Scheitern ist dank ausgeklügelter Hilfesysteme (die natürlich so wenig wie möglich genutzt werden) eigentlich nicht möglich. Auch steht die Punktevergabe am Ende nicht wirklich im Vordergrund. Es ist ein rein auf geistige Leistung und Kreativität ausgelegtes Spielgenre ohne nennenswerte Glückskomponente. Die ersten Exits von Inka & Markus Brand und Unlock Episoden haben wir noch zu viert oder sogar zu sechst gespielt. Allerdings haben wir festgestellt, dass die Komponenten einfach nicht auf so große Spielerzahlen ausgelegt sind. Da wir die großen Runden auch lieber mit anderen Spielen verbringen, sind Escape-Spiele zu einer reinen Angelegenheit zwischen mir und meinem Mann geworden. Zweisamkeit ist Koop-Light, das für uns gut funktioniert. Sind alle Rätsel gelöst, kann man die Escape-Spieler allerdings nicht noch einmal spielen. Bisher stetiger Nachschub sorgt aber dafür, dass uns die ungespielten Schachteln nicht ausgehen.
Anders ist das bei T.I.M.E Stories. Hier halten wir an den vier Spielern von Beginn an fest. Wir spielen jede Erweiterung so bald wie möglich nach der Veröffentlichung und warten dann sehnsüchtig auf die nächste. Alle in unserer Runde freuen sich auf dieses kooperative abendfüllende Erlebnis. Wenn T.I.M.E Stories auf den Tisch kommt, wird an diesem Spieleabend nichts anderes gespielt. Da man zusammen das große Unbekannte erforscht und nicht unbedingt ableiten kann, was einen hinter den Karten des Panoramas eines Ortes erwartet, ist auch hier viel Zufall im Spiel. Noch dazu kommt es teilweise auf den gewählten Charakter an, an welchen der abverlangten Würfelproben man teilnimmt. Die Würfel sorgen ebenfalls dafür, dass kein Alphaspieler-Problem auftritt. Diskutiert wird lediglich, wohin man als nächstes geht und durch den wechselnden Zeitcaptain hat immer ein anderer das letzte Wort. Im schlimmsten Fall steht eben noch ein Durchlauf an und von der romantischen Vorstellung, irgendwas im ersten Anlauf zu schaffen, haben wir uns bereits sehr schnell verabschiedet. Wir sind eher die Gruppe, die alles gesehen haben will und dieser Wunsch vereint uns harmonisch am Spieltisch.
Das Thema – Die große Stärke von kooperativen Brettspielen
Es gibt also durchaus viele Beispiele für kooperative Spiele, die ich sehr gerne mag. Meiner Ansicht nach liegt das an einem starken Fokus auf das Thema. Wir erleben zusammen eine Geschichte am Spieltisch. Es entstehen erinnerungswürdige Momente, über die man noch Jahre später spricht. Das verbindet und lässt ein Gefühl von Gemeinschaft entstehen, das über die einzelne Partie hinaus wirkt. So werden wir uns noch lange daran erinnern, als Jan bei Eldritch Horror mehrere Runden lang vergeblich versucht hat, eine Ziege im Himalaya zu töten. Spott und Hohn sind ihm sicher. Mein armer Charakter hingegen, der sich durch Eis und Schnee der Antarktis gekämpft hat, wurde bei der Reise durch ein Portal zurück in die Vergangenheit vom eigenen Vater erschossen. Er hatte die erwachsene Frau, die in sein Heim eingedrungen war, einfach nicht erkannt. Es gibt sie zu Hauf, diese Erlebnisse. Wenn man nicht dabei war, kann man das nicht nachvollziehen. Es ist ein elitärer Kreis, mit denen man sie teilt. Kooperative Brettspiele, die es schaffen, solche einzigartigen Erlebnisse für die Gruppe zu erzeugen, sind die wahren Juwelen im Genre. In diesem Punkt stimmt mich auch Pandemic Legacy versöhnlich und ich schiebe die anderen Probleme, die ich mit dieser Art von Spiel habe, leicht grummelnd zur Seite.
Nicht für alle kooperativ – Overlord Spiele
Das beste aus beiden Welten vereinen für mich Overlord Spiele wie Imperial Assault, The Others oder Rise of Moloch. Hier spielen einige Spieler kooperativ auf der Seite der Guten gegen einen Spieler, der die Bösen steuert. Ich habe kein Problem damit, die dunkle Seite der Macht zu verkörpern. Allerdings funktionieren diese Spiele für mich am besten mit mindestens zwei anderen Spielern. Ein Teil des Erlebnisses ergibt sich aus dem belustigten Belauschen meiner Mitspieler, wenn sie ihre Taktik besprechen und sich ärgern, dass ich alles hören kann. Das führt mitunter zu Mauscheleien mit Handzeichen unter dem Tisch. Zumindest wurde mir das so zugetragen, denn gesehen habe ich sie ja nicht. Sieg und Niederlage sind hier als Einzelkämpfer für mich eine sehr persönliche Sache, wie in normalen kompetitiven Brettspielen auch. Für die kooperativ spielende Seite gibt es bei einer Niederlage in mir einen willkommenen Sündenbock. Man steht nun mal vereint gegen die dunklen Mächte. Manchmal wird der Sündenbock aber auch in den eigenen Reihen gesucht. Hinweise (nicht ganz so ernst gemeint) kommen dann natürlich auch von mir. Wenn die anderen sich dann gegenseitig an die Kehle gehen, habe ich als passionierter Overlord-Spieler damit aber zum Glück nichts zu tun – divide et impera.